Der eiskalte Himmel - Roman
Herman durch den Garten gestapft und bezog, ohne es zu ahnen, das Zimmer seiner späteren Frau.
Ich hatte lange nicht mehr mit Regyn unter einer Decke geschlafen, zuletzt irgendwann als wir beide noch Kinder waren und uns wenig dabei dachten, wenn wir bei Mynyddislwyn nackt im Usk schwammen, um nach Krebsen zu tauchen. Ich lag da im Dunkeln, die Lider aufgeklappt wie ein Vampir, und spürte und scheute die Wärme, die Regyns Körper verbreitete. Meine Schwester atmete gleichmäÃig und ruhig, und ich fragte mich lange, ob sie wohl nur so tat, als schlafe sie. Ich nämlich hörte jeden Schritt und jedes Geräusch des fremden Mannes, der hinter der Wand auf und ab ging, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass es Regyn anders erging.
Das Seltsame an dem Traum, den ich in dieser Nacht zum ersten Mal hatte, war, dass er nicht allein aus Bildern und Tönen bestand, sondern dass die Bilder und Töne mir wie aneinander gekoppelte Teile eines orgelähnlichen Mechanismus vorkamen, den ich mit geringsten Körperbewegungen selber bediente. So weià ich noch, dass ich unter dem lauten Hallen meiner Schritte eine steinerne weiÃe Wendeltreppe hinaufrannte und dass ich, oben angekommen, wo nichts war auÃer einer leeren Wand, aufwachte und mich um Regyns Rücken gekrümmt fand, gekrümmt wie die Treppe in meinem Traum.
Herman wohnte eine ganze Woche lang in Regyns Zimmer, und in jeder der sechs oder sieben Nächte, die sie und ich uns mein Bett teilten, träumte ich denselben Traum von mir als der Körperorgel. Der Traum hat keine eigentliche Geschichte. Eine Gruppe von Zwergen kommt darin vor, ein Dutzend gesichtsloser, vollkommen gleich aussehender, mit Kapuzenmänteln bekleideter Männlein, die ich dabei beobachte, wie sie hintereinanderher an einem Fluss entlang über eine schneeweiÃe, von schwarzen und baumlosen Berggipfeln umgebene Landschaft stapfen. Und doch gibt es nichts auÃer den Zwergen und mir: Das Land ist so weiÃ, die Berge so schwarz, dass sie wie eine Schrift erscheinen, die man nicht lesen kann und deren Sinn sich nicht erschlieÃt. Der Fluss führt kein Wasser. Er ist einfach nur leer. Ich bin untrennbar mit den Zwergen verbunden. Ihre Gruppe bewegt sich, wenn ich mich bewege. Sie bleiben stehen, wenn ich mich nicht rühre. Mit manchmal schrillen, manchmal dumpfen Tönen, einem leisen, aber durchdringenden Gellen und einem alles überdeckenden Brummen steuere ich die Männlein, lenke sie, wie mir allmählich bewusst wird, zu mir. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mir damals klar war, heute bin ich mir sicher, dass jeder der Zwerge für eines meiner Glieder stand: einer für einen Arm, ein anderer für ein Bein, einen Fuà oder einen Finger.
Die Landschaft blieb immer dieselbe, sie war immer bloà leer, die Berge mit den weiÃen Gipfeln und den schwarzen, nackten Hängen liefen endlos an den leeren, nichts begrenzenden Ufern dahin. Erst als die Zwerge in einem weiten Bogen auf mich zumarschiert waren und dicht vor mir standen, rannte ich davon und hastete die Treppe hinauf, an deren kahlen Ende ich immer aufs Neue aufwachte. Dann rückte ich von Regyn weg, drehte mich zur Wand und horchte. Manchmal hörte ich, wie Herman schnarchte. Und in der letzten Nacht mit Regyn wachte ich auf und lag wieder allein in meinem Bett. Wie meine Schwester war der Traum verschwunden und kam nicht wieder.
Ich hätte nie für möglich gehalten, einmal ein Land wie das aus meinem Traum wirklich kennen zu lernen.
Wir haben anderthalb Tage Fahrt seit den Shag-Felsen hinter uns. Das Wetter ist immer noch unbeständig, aber es ist stetig kälter geworden. Am Morgen hat der Ausguck Land gemeldet. Wir haben die kleinen Eilande Willis und Bird passiert und sind dann in gebührender Entfernung unter gerefften Marssegeln die immer wieder in Schneeböen verschwindende Nordküste hinabgefahren.
Die schwarzen Berge, das weiÃe Land und das bis auf den Grund klare Wasser in dem Fjord, durch den wir hineingefahren sind ⦠das Land, das ich meine wiederzuerkennen, ist die Insel Südgeorgien.
In völliger Windstille werfen wir in der Ostcumberland-Bucht vor Grytviken Anker. Ein mächtiger alter Walfänger, dessen Stars-and-Stripes-Banner Bakewells Herz höher schlagen lässt, liegt in Rufweite, und die Wohnhäuschen und Flenserbaracken am Ufer sehen aus wie von den schwarzen Berghängen gerutscht und liegen
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