Der eiskalte Himmel - Roman
Gralsritter.
Wir legen ab und rudern langsam durch die kalte Bucht. Irgendwann sehe ich über die Schulter meines Vordermannes hinweg die Girlanden und das Licht am Haus der Jacobsens ausgehen. Auf Südgeorgien wird es dunkel. Ohne dass einer in den Booten etwas sagen muss, erhöhen wir die Schlagzahl und peitschen die Kutter durch den Gestank. Und weil ich mir nicht die Nase zuhalten kann, versuche ich an Sägemehl zu denken, an den Sägemehlduft in Vaters Werkstatt: Pillgwenlly im Winter!
2
»Woher das Schwein?«
W ir müssen uns aufteilen. Jacobsen hat den Sir eindringlich davor gewarnt, vor Anfang Dezember ins Eis vorzustoÃen, und Shackleton hat ihm schlieÃlich zugestimmt. Da wir also voraussichtlich einen ganzen Monat lang auf der Insel bleiben, müssen die Hunde von Bord geschafft werden. Zwölf Mann unter Wilds Führung wurden abkommandiert, am Rand der Siedlung eine Zwingeranlage zu errichten, und da man die Hunde keine Stunde aus den Augen lassen kann und weil die wilden Biester auÃerdem endlich trainiert werden sollen, müssen die Männer, die Shackleton zu Hundeführern und Hundeführerassistenten gemacht hat, gleichfalls an Land untergebracht werden. Ein nebliger Tag vergeht mit Zimmern von Zwingern und Zäunen, Verladen und Hinüberrudern der Tiere und Ausmisten und Säubern der Hundeboxen an Deck. Derweil haben die Norweger in Windeseile das Strømmener Spritzenhaus geräumt und mit Feldbetten für ihre Expeditionsgäste eingerichtet. »God shave the King!«, hat jemand mit Kreide über den Eingang gekritzelt. Durch den Nebel hört man sie singen: Bakewell erzählt, sie stehen breitbeinig, mit Gurten gesichert, auf den aufgebläht in der Bucht treibenden Walen und schneiden mit Messern, deren Klingen länger sind als sie selbst, Stücke aus den Kadavern.
Für uns 16 an Bord verbliebene Antarktiker beginnen mehr oder minder erholsame Wochen. Der Sir und der Skipper haben sich in ihre Kajüten zurückgezogen, um Seekarten und Wetterkarten zu studieren. Die Forscher und die Künstler verlassen schon frühmorgens das Schiff, um das Land zu erkunden. Sie messen die Geschwindigkeit der Fallwinde und die Temperatur der heiÃen Quellen, sie sammeln Gesteinsproben, Moose und Flechten. Marston zeichnet See-Elefanten, Tussock-Gras und Gletscher. Und Hurley schleppt seine Kamera, die ihm wie eine mannshohe Spinne mit drei Beinen auf dem Rücken hockt, die die Bucht umgebenden Berge hinauf. Motorschlittenexperte Orde-Lees, der aufgrund seiner Launigkeit und gestelzten Art »Tante Thomas« genannt wird, hat es fertig gebracht, Shackleton dazu zu bewegen, die drei Gefährte, die in Wales gebaut wurden und noch nie einen Mucks von sich gegeben haben, an Land schaffen zu lassen. Auf einem Schneefeld über Grytviken will Orde-Lees die Schlitten testen. Als er darangeht, sie an Deck aus ihren Holzkisten zu schälen, stelle ich mich zu ihm, und ohne dass ich ein Wort gesagt habe, erklärt mir Tante Thomas das Wunder, das vor meinen Augen ans Licht kommt.
»Der gröÃte ist fast fünf Meter lang und einen Meter breit. Sie haben 60- PS -Motoren und Flugzeugpropeller, Anzani-Motoren übrigens. Sagt dir das was?«
»Blériot fliegt mit Motoren von Anzani.«
»Schlaues Kerlchen. Der hier bringt es auf 50 Stundenkilometer und kann bis zu einer Tonne Gewicht schleppen.« Er weist mich auf einen kastenartigen Aufbau in der Schlittenmitte hin. »Hier hinein strömen die Auspuffgase, in eine Art heiÃen Schrank«, sagt er. »Bei Bedarf kann man Schlafsäcke und Kleidung darin trocknen.«
Orde-Lees ist überzeugt, dass seine walisischen Motorschlitten die Polarforschung revolutionieren werden. Und er steht mit dieser Ansicht nicht allein da. Ich habe Shackleton mehrfach äuÃern hören, dass Hundegespanne im Eis bald genauso der Vergangenheit angehören werden wie die Ponyschlitten, die Scott zum Verhängnis wurden.
»1907«, sagt Orde-Lees, »war Sir Ernest übrigens der Erste, der ein Automobil in die Antarktis mitnahm.«
Ich traue mich nicht, ihn zu fragen, ob er weiÃ, was aus dem Wagen geworden ist, aber ich bin mir sicher, dass das Vehikel gleich zu Beginn des Hungermarsches über den Beardmore-Gletscher irgendwo zurückgelassen wurde und dass es dort, drei Meter tief in Schnee und Eis gesackt, noch immer steht und darauf wartet, endlich loszuknattern. Tante
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