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Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Goldschopfpinguine haben noch eine Besonderheit. Du wirst lachen, wenn du sie rufen hörst. Es klingt nämlich, als würden sie nach mir rufen. Das ist kein Witz! Ehrlich, sie rufen: Clark, Clark! Clark, Clark!«
    Am Neujahrsmorgen erfülle ich mir einen Wunsch, den ich seit meiner Befreiung aus dem Spind so geheim gehalten habe wie Ennids Fisch: Ich steige in die Großmastwanten und klettere ins Fass hinauf.
    Dort oben ist nichts mehr zu hören als der um die Rahen und Marse pfeifende Wind. Bei aller von innen wärmenden Sorglosigkeit, die sich einstellt, wenn man der Pracht des leeren Himmels 30 Meter näher ist als alle anderen, ist es doch aasig kalt. Um nicht zum keuchenden Fortsatz der überfrorenen Großoberbramrah zu erstarren, schlage ich den hellblauen Grego um mich wie König Artus seinen Mantel mit den 27 darauf gestickten Drachen. So von oben betrachtet ähnelt die ENDURANCE einem großen Keil, der sich durch eine schmale Rinne in ein Gewirr aus Wasserstraßen schiebt. Schwarz, blau und silbern schimmernde Seen, das sind unsere lichten Punkte, kleine eisfreie Flächen zwischen den Schollen, die uns trotz allem noch immer vorankommen lassen. Unten hinterm neuen Wetterschutz der Brücke steht der vermummte Skipper, eine Hand am Maschinentelegrafen zum Kesselraum, die andere an dem Semaphor, den McNeish aus Latten von Jakes’ und Jones’ zertrümmertem Zwinger gebaut hat. Das Signal, mit dem der Käpt’n dem Steuermann die ständig nötigen Kurskorrekturen übermitteln kann, ohne sich dabei heiser zu brüllen, erinnert an den von einer Turmuhr abgebrochenen Zeiger. Aber manchmal, wenn ich Worsley so dastehen sehe, die Hand an dem Holzblatt, den Kopf zurückgewandt, bis Greenstreet am Ruder auf sein Signal reagiert, denke ich an meinen Bruder: Dafydd vor dem Flugzeug des einäugigen Edward Mannock, wie er gespannt darauf wartet, den Propeller anschmeißen und zur Seite springen zu können.
    Verzaubert von dem Ausblick, dusele ich vor mich hin, träume von vergangenen Dingen und stelle mir vor, was auf uns zukommen mag. Das neue Jahr lässt sich gut an. Wir haben die längste Strecke seit der Einfahrt ins Packeis geschafft, 200 Kilometer an einem einzigen Tag.
    Aber es bleibt das alte Hin und Her. Am 6. Januar sitzen wir so hartnäckig fest, dass der Sir beschließt, den Hunden eine Abwechslung von ihrem Alltag zwischen Zwinger und Arztuntersuchung, Spratts’ Hundekuchen und Lysolbad zu verschaffen. In ihren Schlittengruppen werden sie aufs Eis geführt und können sich austoben. Nur fünf fallen ins Wasser, werden aber gerettet. Dann wieder zwei Tage lang kräftige Fahrt bis über die 69. Breite hinaus, wo kurz vor Sonnenuntergang Eisleuchten, ein gleißend weißer Streifen am Horizont, das nächste Hindernis ankündigt: Morgens passieren wir einen Eisberg von so unfassbaren Ausmaßen, dass ihm Shackleton einen Namen gibt. Er tauft ihn »Mount Rampart«, Wallberg. Obwohl wir uns Schiffslängen entfernt an ihm vorbeidrücken, entdeckt Wild unter Wasser seine Ausläufer und schätzt, dass sie knapp neben uns mehr als 300 Meter in die Tiefe reichen. Doch der Rampart wartet auch mit einer Überraschung auf, die alle, die den Moment miterleben, in Jubel ausbrechen lässt. Hinter ihm sind Eis und Furchen, das weiße endlose Puzzle verschwunden. Dort ist nichts als Wasser, das Wasser des Weddellmeers.
    Es dauert einige Zeit, bis die Jungs die gefrorenen Segel von den Rahen getreten haben, aber als sie dann fallen und festgeholt sind, fährt der Wind hinein. Der Weddellwind bläht sie auf, bricht ihnen die Kruste von der Haut, und in diesem Eiskristallregen, der auf das Deck niedergeht, rauschen wir wie entfesselt südwärts.
    Tags darauf, es ist der 10. Januar, ein Sonntag, kommt ein weiterer riesiger Eisberg in Sicht, der wie ein Doppelgänger des Rampart wirkt und uns in Panik versetzt, hinter ihm könne wieder das Eis auf uns warten. Dann aber spricht sich herum, was Shackleton, Worsley und Wild von dem Berg halten. Die Position wird überprüft: 72° 10‘ S, 16° 57‘ W. Damit steht fest: Was dort aus dem hellgrünen Wasser ragt, ist kein Berg. Wir haben Coats Land erreicht, das 1904 von der SCOTIA -Expedition entdeckt wurde. Was wir für einen Eisberg halten, ist eine Steilküste aus Eis, ein Stück der Schelfeiskante des

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