Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der eiskalte Himmel - Roman

Der eiskalte Himmel - Roman

Titel: Der eiskalte Himmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
das hinter uns liegt. Riesensturmvögel scheinen unentwegt zwischen beiden Felsengruppen zu pendeln, und dass ein Schiff ihre Route kreuzt, interessiert sie nur mäßig. Anders als die Skuas, die in dem Küchenabfälle über das Schanzkleid kippenden Green ihren Zeremonienmeister gefunden haben, sausen die graublauen Riesen knapp über der Wasseroberfläche auf uns zu, segeln durch die Takelage und fliegen davon, als würde es uns seltsame Vögel, die wir die Köpfe einziehen, gar nicht geben. Manchmal schimmern See und Eisrand in rosigstem Rot, dort nämlich, wo ein Krillschwarm zieht. Diese oft viele hunderttausend Tonnen schweren Versammlungen von lauter einzelnen und in dieselbe Richtung schwimmenden Krebschen sind es, was die Riesensturmvögel anlockt. Ich könne sicher sein, sagt mir Bob Clark mit einer grusligen Stimme, dass so wie die Vögel von oben an dem Krill picken, von unten die Wale sich daran gütlich tun.
    An vielen Stellen öffnet sich die Barriere und bildet Spalten, die breit genug für das Schiff wären, einige sogar breit genug, um bei Nichtweitervorankommen darin zu wenden. Doch da die Kante südwärts führt, hat Shackleton Order gegeben, nicht ins Eis einzufahren. Wild und er sind abwechselnd im Fass und halten bis zum Einbruch der kaum eine Stunde währenden Dunkelheit um Mitternacht Ausschau, ob die Drift die Richtung ändert. Aber auch im Zwielicht der Nacht, in dem ich alle zwei Stunden hochschrecke und lausche, höre ich die Maschinen ruhig und gleichmäßig stampfen und die ENDURANCE langsame Fahrt machen, ganz so als ginge es frühmorgens, noch vor den heimkehrenden Fischkuttern, den Severn hinauf nach Newport.
    Am nächsten Vormittag ist es so weit. In weitem Bogen verläuft die Barriere nun nach Nordwesten. Bis zum Mittag folgen wir der Kante, um festzustellen, ob sie noch einmal die Richtung ändert, dann aber lässt Worsley beidrehen, und wir kehren um und suchen nach einer geeigneten Einfahrt. Der Spalt, den Frank Wild vom Fass aus schließlich entdeckt, erstreckt sich über drei Schiffsbreiten. Da er sich, so weit man blicken kann, kaum merklich verengt, dürfte der Riss einen Kanal zwischen zwei ansonsten unversehrten Schollen bilden. Eine einzige riesige Eisplatte, eine sich über zig Kilometer erstreckende weiße Mondlandschaft, die Jahre, wenn nicht Jahrzehnte auf dem Buckel hat, ist irgendwann entlang dieser südwärts verlaufenden Linie auseinander gebrochen. In dem Augenblick, in dem der Sir dem Käpt’n und der Käpt’n seinem Ersten Offizier Greenstreet das Kommando zu halber Kraft voraus geben, hat sich bis auf die Heizer die gesamte Mannschaft auf dem Vorderdeck versammelt. Alle spähen sie über den Bugspriet voraus und folgen mit Blicken dem blauschwarzen Keil, der sich in die weiße Ebene hineinschiebt, bis er sich als haardünner Faden am Horizont darin verliert.
    Nur ich schaue über Bakewells Schulter zurück achteraus auf die offene See. In der Minute, in der ich nach hinten zum Heck gehe, ist ihr Anblick ebenso verschwunden wie das Rauschen der übers Wasser fegenden Böen und das Krachen der gegen die Eiskante rennenden Brandung. Dann gibt es überall rings nur noch Eis. Und mir, an meine überfrorene Reling geklammert, kommt es so vor, als stünde ich nicht am Heck unseres Schiffes, sondern am Heck der Zeit.
    Ich hatte gedacht, im Eis sei es still. Aber das stimmt nicht. Das Eis ist ständig in Bewegung. Dort, wo sie nicht zusammengedrückt wurden und sich übereinander getürmt haben, sind die Schollen zwischen einem und zwei Meter dick. Lässt sie die unter ihnen hindurchlaufende Dünung aneinander stoßen, hört man zuerst den dumpfen Schlag des Aufpralls, bevor ein langes Knirschen folgt, mit dem sich die Eisplatten aneinander reiben. Welchen Lärm das macht, merke ich, als wir wenige Stunden nachdem wir in den Packeisgürtel eingefahren sind, ein freies Becken von der Ausdehnung eines mittelgroßen Sees erreichen, in dem man wirklich keinen Mucks hört, zumal wir die Maschinen gestoppt haben, damit sich Stevenson und Holness von der Schufterei vor den Kesseln erholen können. Unter vollen Segeln rauschen wir südwärts, und während sich die Decksmatrosen einen Sport daraus machen, abwechselnd immer weiter auf dem Klüverbaum über den Bug hinauszuklettern, um mit Gebrüll einen Arm, eine Hand, einen Finger

Weitere Kostenlose Bücher