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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Augen und Nasenwurzeln der Anästhesisten, die sich über mich beugen und mir durch ihren Mundschutz ihre Vorhaben erläutern, ehe sie zur Spritze greifen und die Betäubung setzen. Jost, der dem Stationsarzt assistiert, nickt mir zu mit den zum Trocknen erhobenen, desinfizierten Händen; an den Fältchen in den Augenwinkeln erkenne ich, daß er ein Lächeln versucht. Für einen Moment bin ich stolz darauf, mit ihm befreundet zu sein, aber das Gefühl verfliegt, als mir in den Sinn kommt, daß er es nicht teilen muß, daß sie sich über meinen Fall unterhalten werden, der für ihn wahrscheinlich kompromittierend ist. Es wird Gerede geben. Ich habe Vertrauen zu ihm; ich glaube, daß er ein guter und anerkannter Arzt ist. Ich sehe das daran, wie die Kollegen mit ihm umgehen, vor allem aber die Schwestern, deren Auge sich nicht täuschen läßt. Die Spinalanästhesie macht, daß ich das Gefühl habe, nur noch Rumpf und Kopf zu sein, der rechte Arm ist abgewinkelt, über eine Braunüle tropft Flüssigkeit hinein, auf demZeigefinger steckt eine Sonde, die mich an Spechtschnäbel auf Maya-Reliefs denken läßt, ich liege in der Luft, die Beine werden warm, kribbeln, dann werden sie leicht, durchsichtig, das Körpergefühl zieht sich zurück. Ein Gefühl von Geborgenheit in der kleinen, von grünem Tuch begrenzten Höhle des Anästhesisten, der auf die Monitore schaut und regelmäßig etwas in ein Protokoll schreibt. Die verhaltenen, einsilbigen Kommentare jenseits der Wand, das Rattern der Maschine, die wie ein überdimensionaler Rasierapparat aussieht und mir breite Hautbahnen vom Oberschenkel schälen wird, die dann, Jost hat es mir erklärt, durch eine Rakel gedreht und zu einem Netz geschnitten werden, wodurch sich die Oberfläche des Transplantats um ein Vielfaches vergrößert. Jetzt, eine Stunde später, kehrt das Gefühl allmählich wieder in die Beine zurück und damit die Schmerzen, sie haben den Schmerzperfusor wieder installiert, der gleichmäßig seine lindernde Alchimie in meinen Kreislauf träufelt. Nein, Herr Verteidiger, ich wünsche nicht, daß Vater mich besucht, wenn ich Sie um eines bitten darf, dann um Ihren Takt und Ihre Findigkeit, ihm dies bei einem Ihrer Treffen zu verstehen zu geben
    [ STEFAN R. ] Ich gebe Ihnen keine Auskunft über meinen Sohn, ich sehe nicht, welche Relevanz solche privaten Angelegenheiten für Sie haben könnten. Nein, ich möchte ihn auch nicht sehen, nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
    – draußen wird es schon wieder dunkel, die Tage kommen und gehen mit beängstigender Raschheit, alles scheint sich zu beschleunigen, ein Kreisel, der immer schneller treibt, nie wird mich das Gefühl verlassen, daß es mit der Wirklichkeit nicht weit her ist, daß selbst die nüchternsten Alltäglichkeiten nur besonders raffinierte Tarnungen innerhalb des bösenMärchens sind, in dem zu leben wir verdammt sind, falsch, alles falsch, was ich getan hatte in meinem Leben, Vater hatte recht, ich war ein Versager, hatte nichts zustande gebracht, ich war dreißig und hatte nichts von dem zu bieten, was Menschen in meinem Alter in diesen Breiten gemeinhin zu bieten haben. Ich hatte keinen Beruf, der mich ernährte, keine Frau, keine Familie, keine erkennbare Perspektive. Da war sie wieder, die Angst, eine treue Begleiterin; aber einen Ausweg gab es immer noch, der mir freistand, wenn ich ihn nehmen wollte: Ich konnte Schluß machen mit diesem Leben, von dem ich nichts erwartete und das von mir nichts erwartete, für einen wie mich nicht viel übrig hatte außer Spott, Herablassung, Ablehnung. Wie lange hält ein Mensch das aus? Wie lange würden Sie es aushalten, Herr Verteidiger? Ich hatte ja noch die Pistole, die Mauritz mir gegeben hatte, und glauben Sie mir, manchmal stellte ich mir vor, die Waffe in der Hand, wie schön es wäre, mit einemmal Ruhe zu haben. Ein Schuß nur trennte mich von der Stille, ein lächerlicher, unbedeutender Schuß. Dann wäre Schluß mit dem Gejammer, der Angst und der Unsicherheit. Niemand würde mich mehr anders haben wollen, als ich bin. Wiggo, tu dies, Wiggo, tu jenes, aber um Gottes willen nicht das, was du tust. Vor allem wäre endlich Schluß mit den Zweifeln. Du kannst nicht. Es reicht nicht. Ach, wozu soll’s bei dir schon reichen. Wie kannst du ein Philosoph sein, wo ich doch keiner bin. Das kann nichts taugen. Das muß belanglos und bedeutungslos sein. Du bist nicht geeignet. Immer die skeptisch erhobenen Augenbrauen, Herr Verteidiger, ich glaube, man kann

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