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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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losgegangen, Mauritz warf ihn in die Ecke, fiel in einen Sessel und lachte, barg das Gesicht in den Händen, lachte, zuckte konvulsivisch am ganzen Körper. Siehst du? Es gibt ihn, und er ist mächtiger als der Teufel, er hat mir gesagt, die Trommel noch um eins weiterzudrehen, ich hatte sie schon einrasten lassen, und er sagt mir, ich hab es genau verstanden, eins weiter, Mauritz Kaltmeister, dreh um eine Position weiter! Klack! Und nichts! – Wenn du nicht mein Bruder wärst, würde ich sagen, du bist irre, flüsterte Manuela, totenblaß auch sie, kopfschüttelnd, sie sank in den Sessel neben Mauritz, der mit jetzt wieder klarer, wenn auch leiser Stimme sprach: Es gibt ihn, – Hör endlich mit diesem Quatsch auf, hör auf zu faseln, verdammt nochmal, fuhr ihn Manuela an. Das war Zufall, weiter nichts, am liebsten würde ich dir links und rechts eine runterhauen! Ihre Stimme kippte, sie brach in Tränen aus, ihre Lippen zitterten, sie griff nach Mauritz’ schlaff herabhängender Hand und küßte sie, wild, leidenschaftlich, legte ihre Wange hinein. – Es gibt ihn, sagte Mauritz, ich hab es gehört, und keine Tricks, ich habe mich hingestellt, nicht dich, Wiggo, nein, mich, ich habe gesagt: Wenn du mich liebst, dann laß es nicht zu, daß es knallt, und er hat mir gesagt: Dreh eine Position weiter, du mußt eins weiterdrehen, Mauritz lachte und küßte Manuelas Hand zurück, hast dich erschreckt, was? Tapferes Schwesterchen! Guck dir Wiggo an, wie er dasteht und mich für einen Wahnsinnigen hält und sich einen Schnaps eingeschenkt hat, das solltest du auch tun, Schwesterherz ... He, hört zu, ihr beiden, ich wollte nur mal sehen, wie ihr reagiert; er stand aufund holte den Revolver, klappte die Trommel auf, schüttete die fünf Patronen in die Hand, Seht her! Alles Platzpatronen, das hätte mir bloß ein bißchen die Pfote verbrannt! Wenn ihr wollt, könnt ihr jetzt Arschloch zu mir sagen. Wiggo, gib mir auch ’nen Schnaps
    – bei mir war die Patrone echt, Herr Verteidiger, kein Taktieren wie bei Mauritz. Ich dachte, du schaffst es nie. Für einen wie dich gibt es keine Zukunft. Bedrohungen, überall Bedrohungen. Warum bist du so, wie du bist? Du Hungerleider. Du Versager. Was hast du schon zuwege gebracht? Die anderen sind. Die anderen haben. Haus, Auto, Frau und Kind. Die anderen. Kannst du nicht nebenbei philosophieren. Die anderen sagen, die anderen tun, die anderen, – Halt’s Maul, Oda! brüllte ich. Was die anderen sagen oder tun, ist mir scheißegal, – Ja, das sagst du dann immer. Das ist dein Argument. Das ist alles, was dir einfällt. Was dir nicht in den Kram paßt, wird mit einer Handbewegung abgetan, weggefegt, halt’s Maul. Und wenn man was sagt, was dem Herrn nicht schmeckt, wird er ausfällig. Oder gewalttätig. Weißt du was? Dich möchte ich nicht mal geschenkt, – Bist du etwa besser, du blöde Gans? Warum kannst du mich nicht einfach so lassen, wie ich bin? Du bist genau wie unser Erzeuger, was wir tun, ist richtig, daneben gibt es nichts; alles, was anders ist als wir, kann nichts taugen, ist es nicht so? – Nein, so ist es keineswegs, du Knallkopf, du mußt doch wohl spinnen, krieg du erst mal dein Leben in den Griff, dein verpfuschtes, wo du andern auf der Tasche liegst; andere würden sich alle zehn Finger lecken, wenn sie hätten mit dir tauschen können, was hast du schon zu leiden und zu ertragen gehabt, gar nichts, meine Güte, überhaupt nichts! Ich glaub, dein Gehirn ist irgendwie beschädigt! Ganz im Ernst. Das ist doch nicht normal, wie du dich benimmst
    – ich hob die Waffe an die Schläfe, das Zimmer war dunkel, unten floß der Verkehr, so gleichgültig und alltäglich, als würde nichts passieren, nie, als würde nie etwas passieren, immer nur die Autos von links nach rechts und von rechts nach links, morgens die Lichter, abends die Lichter, Graffiti auf den Häusern, wechselnde Plakate auf den Litfaßsäulen, in den U-Bahn-Stationen, ab und zu ein Zeppelin über den Dächern, der die neuesten Verheißungen der großen, unablässig mahlenden Maschine namens Angebot spazierenfliegt, ich dachte an Mauritz und wie er mich angestarrt hatte, ich mußte lachen im nächsten Moment, oh Gott, war das pathetisch, wie ich da am dunklen Fenster stand, ein Revolver an der Schläfe, dessen Trommel, in der sich eine scharfe Patrone befand, ich gedreht hatte, in welcher Schmonzette hatte ich das schon mal gesehen, russisches Roulett, ich wollte sehen, wie Mauritz, ob Gott mich

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