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Der Eisvogel - Roman

Der Eisvogel - Roman

Titel: Der Eisvogel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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liebte, du Idiot, Gott und seine olympischen Mitarbeiter schauen sich eine Theatervorstellung namens Leben an und amüsieren sich, wenn sie überhaupt noch da oben sind, vielleicht haben sie die Schnauze voll von der Müllkippe, als die sich ihre Schöpfung entpuppt hat, die Schnauze voll vom i-Tüpfelchen der Müllkippe, Homo sapiens, und sind in den Urlaub gefahren in ein Paralleluniversum, wo sie sich uns nicht ansehen müssen, ich spannte den Hahn und schloß die Augen, tu’s doch, du Feigling, wäre es nicht schön, keine Fragen mehr, keine Vorwürfe, keine Verachtung, Wiggo, du hättest endlich Ruhe, Ruhe und Stille, und wenn nichts nachher kommt, ist es auch wurscht, dann hatte deine ganze Philosophiererei vorher auch keinen Sinn, wer bist du schon, was kommt’s auf dich an, tu’s, Wiggo, drück endlich ab und schmeiß den Kram, den du dein Leben nennst, auf den Misthaufen, wo er hingehört, unten die Passanten, dunkel, mit gesenkten Gesichtern, Einkaufstüten in den Händen, aus demLachen fiel ich plötzlich in einen Weinkrampf, oh Gott, auch das noch, was bist du für ein Waschlappen, eine sentimentale Heulsuse, verdammt nochmal, wenn du wirklich was taugst, mach’s kurz und tschüs, ich stellte mir vor, daß ich auf einen der Passanten fallen könnte, ihm weh tun und mir, vielleicht Schlimmeres, absurder Gedanke, der kalte Stahl der Waffe, wie vertrauenerweckend und verläßlich, dachte ich, wenn es dich gibt da oben, mach, daß ich rauskomme aus dem langsamen Verrücktwerden
    – ich sah die Szene im Philosophischen Institut wieder vor mir, hörte das Lachen Hertwigs, hoch und schrill und irr, wie wir zuzeiten alle sind, das Lachen eines gefolterten Narren, dabei von einem Aufglucksen unterbrochen, das eine Art Ventilfunktion haben mußte, denn Hertwig lachte nie anhaltend, sondern immer stoßweise dieses hohe Tremolieren, Aufglucksen, das wie die Befreiung von etwas Angestautem wirkte, wieder eine sirrende Salve: Dieser Ritter wird es zu nichts bringen, so wahr ich hier sitze und solange ich lebe und so weit mein Einfluß reicht, meine Herren, sagte Hertwig zu seinen Assistenten, ich hörte es durch die angelehnte Tür, wie er mit ihnen sprach, hörte ihre Stimmen, hörte ihr Schweigen, sah die karierte Hose dessen, der meine Dissertation betreut und mir eine Zukunft vorausgesagt hatte, und wer das Völkchen der Philosophen kennt, weiß, was für ein Kompliment das ist, es ist beinahe das höchste Lob, das sie aussprechen, das höchste Lob ist schäumende Wut, mit der sie auf alle, wirklich alle Veröffentlichungen ihrer Konkurrenten reagieren, die sie wie Süchtige aufsaugen, jede Zeile davon, um nachher im Brustton der Überzeugung zu verkünden, diese X oder dieser Y tauge überhaupt nichts, ganz und gar nichts, das sei alles nur Luft, ja, es existiere nicht einmal, X oder Y könne Friseur werden, solle aber die Hirnzellen nicht zum Denkenbenutzen, dabei könne nur wieder solch verbrecherisch unlogischer hanebüchener Unsinn herauskommen wie jener, den die offenbar mit Blindheit, Komplett-Alzheimer geschlagenen oder bestochenen Herausgeber der Philosophical Studies oder der Zeitschrift für philosophische Forschung für wichtig und publikationswürdig erachtet hatten; einmal mehr zeige sich, daß die Bildungskatastrophe inzwischen nicht einmal vor diesen Institutionen mehr haltmache. Nach Hertwigs Ausbruch schwiegen sie, und ich blieb stehen im dunklen Vorraum, die Sekretärin war hinausgegangen, Tränen trocknen vielleicht oder nach Hause. Hertwig liebte abendliche Seminare, dehnte sie oft bis tief in die Nacht aus, eine Eigenart, die er mit vielen Philosophieprofessoren teilt; er hielt dann seine Akademie, wie er es nannte, lud Kollegen anderer Fakultäten dazu ein, Chemiker, Biologen, Architekten, hielt uns auch immer dazu an, deren Vorlesungen zu besuchen. Wie wollen Sie ernsthaft philosophieren, wenn Sie naturwissenschaftliche Betrachtungsweisen nicht kennen, pflegte er zu sagen, und jetzt sagte er: Nein, einer, der solche Ansichten hat, darf nicht philosophieren, auf junge Menschen erzieherisch wirken. Dem muß man das Wasser abgraben, in den Anfängen wehren, so wahr ich hier sitze, meine Herren, sagte er, der Großphilosoph, Pharao der postmodernen Diskurse, der mich einst persönlich unter einer Schar von Studenten ausgewählt hatte nach einer Seminararbeit über das Böse
    – Sie wagen etwas, Sie gehen das Risiko primären Philosophierens ein, junger Mann, ich glaube, wir müssen uns

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