Der Eisvogel - Roman
und schob mich aus dem Zimmer. Die Sekretärin prallte von der Tür zurück, wahrscheinlich hatte sie gelauscht. Der Assistent zischte mir zu: Verschwinde, du Vollidiot, und wenn ich dir einen Rat geben darf, besorg dir ein Attest von einem Arzt, und zwar schleunigst, und dort sollte Unzurechnungsfähigkeit wegen schwerer Grippe oder so was draufstehen, klar? Hertwig trat aus der Tür, wie vorhin mit ausgestreckten Händen, plötzlich ließ er die Arme sinken, ließ sein hohes Kichern vernehmen und schüttelte den Kopf: Sie sind entlassen, Ritter! Mit sofortiger Wirkung, seine Stimme rutschte höher, schien Anlauf zu nehmen, schmeiße ich Sie raus! Jawohl, schrie er, ich schmeiße Sie raus, jetzt, gleich, sofort, Sie sind entlassen! Er stürzte auf mich zu und gabmir einen Stoß vor die Brust, packte mein Anzugrevers, zog mich zu sich heran, schüttelte mich, um mich dann von sich wegzustoßen: Raus!! Sie ... sind rausgeschmissen! Er klatschte, rieb sich die Hände, als wäre er begeistert über einen grandiosen Einfall; der Assistent faßte ihn unter und führte ihn ins angrenzende Zimmer zurück, die Sekretärin, totenblaß, starrte mich an wie ein Gespenst: Was ... was haben Sie mit dem Herrn Professor gemacht, Sie, die Sekretärin hob wie in Trance ihre Hand und wies anklagend mit dem Zeigefinger auf mich. So habe ich ihn noch nie erlebt, wissen Sie nicht, sagte sie mit plötzlich brechender Stimme, er ist doch so schwer asthmakrank ... gehen Sie!
[ DOROTHEA R. {...}] Jost und ich beschlossen, Vater zu informieren. Ich hatte Vater einige Monate nicht besucht und war erschrocken, ihn so gealtert zu sehen. Die Sekretärin hatte uns beiseite genommen: Es gibt Schwierigkeiten, Frau Ritter. Die Geschäfte laufen zur Zeit nicht so, wie sie laufen sollten. Dazu Ärger mit dem Aufsichtsrat und der Bankaufsicht. Er hat sehr viel Druck momentan. Ich kann auch Ihnen leider nur zehn Minuten geben. Maximal eine Viertelstunde. Verstehen Sie bitte.
Er telefonierte noch, als wir eintraten, saß seitlich auf dem Schreibtisch, machte eine unbestimmte Bewegung in den Raum, die uns meinen konnte, etwa Setzt euch oder Kleinen Moment noch, bitte, oder auch die junge Frau, die neben ihm am Laptop saß; sie stand auf und ging hinaus. Vaters Oberkörper, hinter dem Zigarettenqualm aufstieg, war gebeugt, gekrümmt ins Telefon hinein. So hatte ich Vater noch nie telefonieren gesehen. Er saß sonst immer aufrecht und ruhig. Seine Stimme war fest, und was er sagte, knapp gehalten. Jetzt sprach er mit jemandem, der ihn nicht ausreden ließ. Immer wiedermußte er unterbrechen, neu ansetzen, dabei beugte sich sein Rücken tiefer über den Schreibtisch, in einem Ausdruck von Qual oder auch unterdrückter Wut. Er rauchte hastig, der Gesprächspartner schien ihn mit Worten zu überschütten. Was der sagte, verstand ich nicht, wohl aber den Ton – unfreundlich, ruppig, immer wieder meinem Vater ins Wort fahrend, der dann den Kopf hob, um den Rauch auszublasen. Vaters hastiges, nervöses Rauchen, die beinahe devote Haltung: auch das hatte ich bei ihm noch nie gesehen. Ich spürte, daß Jost meinen Blick suchte. Ich nickte ihm zu, wir wollten wieder gehen. Aber Vater bedeckte die Sprechplatte mit der Hand, wandte sich um: Halbe Minute, Herrgott, hat denn hier niemand mehr Geduld, ach, du bist’s, und ich sagte: Ich kann dir auch mailen oder ein Fax schicken. Er winkte ab: Nein, wir besprechen das.
Jost erzählte, ich konnte nicht. Vater sagte: Es ist sehr nett, daß Sie mit meinem Jungen befreundet sind. Jost: Wir wissen nicht genau, was passiert ist. Jedenfalls ist er jetzt arbeitslos. Er braucht unsere Hilfe. Vater: Nein. Stellen Sie sich bitte einmal vor, Herr Fortner: Ein Sohn, der zu großen Hoffnungen berechtigt, ja, eigentlich zu allen, wirft plötzlich alles hin. Jost: Plötzlich? Vater: Warum spricht er nicht mit uns? Glänzende Erziehung, Aussicht auf Karriere und wird – was? Philosoph. Philosoph, ich muß das Wort wiederholen, so unglaubhaft erscheint mir das. Haben Sie Kinder? – Nein. Vater ging ans Fenster und verschränkte die Arme: Dann wissen Sie nicht, wovon wir hier sprechen. Es ist leicht, sehr leicht, sich über die Sorgen eines Vaters lustig zu machen. Ich habe ihm Hilfe angeboten, wo ich konnte, habe ihm jeden einigermaßen erfüllbaren Wunsch erfüllt. Jetzt kann ich ihm nicht mehr helfen. Und ich will es auch nicht. Er ist erwachsen. Er lebt jetzt sein Leben, muß auf eigenen Füßen stehen. In seinem Alter hatteich
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