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Der Elefant verschwindet

Titel: Der Elefant verschwindet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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seinen Wagen vor der Tür gesehen hatte. Ich war einfach zufällig in den Laden gekommen und hatte ihn zufällig entdeckt.
    »Kann ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte ich.
    »Natürlich. Bitte«, sagte er.
    Wir plauderten etwas. Doch es wurde kein sonderlich lebhaftes Gespräch. Wir hatten eigentlich kaum gemeinsame Themen, und außerdem schien er an etwas anderes zu denken. Aber es störte ihn offensichtlich auch nicht, dass wir zusammensaßen. Er erzählte von den Häfen in Tunesien. Und von den Garnelen, die man dort fangen könnte. Er redete nicht aus Höflichkeit, sondern sprach ernsthaft über Garnelen. Aber so wie ein Rinnsal im Sandboden versiegt, brach unser Gespräch plötzlich ab und kam nicht mehr in Gang.
    Er winkte dem Kellner und bestellte noch einen Café au lait.
    »Übrigens, was ist eigentlich aus der Scheune geworden?«, fragte ich mutig.
    Er verzog die Lippen zu einem schwachen Lächeln. »Ach, Sie erinnern sich noch«, antwortete er. Er holte ein Taschentuch aus seiner Tasche hervor, wischte sich den Mund und steckte es wieder ein. »Ich habe sie natürlich abgebrannt. Bis auf den letzten Rest ist sie verbrannt. So, wie ich es versprochen habe.«
    »Direkt in meiner Nähe?«
    »Ja. Wirklich ganz in der Nähe.«
    »Wann?«
    »Neulich, etwa zehn Tage nachdem wir Sie besucht hatten.«
    Ich erzählte ihm, dass ich die Positionen der Scheunen in der Karte eingezeichnet hatte und jeden Tag einmal daran vorbeigelaufen war.
    »Ich kann es unmöglich übersehen haben«, meinte ich.
    »Sie sind ja ziemlich genau«, sagte er sichtlich amüsiert. »Genau und theoretisch. Aber Sie müssen es übersehen haben. Das kommt vor. Was zu nah ist, sieht man nicht.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    Er rückte seinen Schlips zurecht und sah auf seine Armbanduhr. »Zu nah«, sagte er. »Aber ich muss gehen. Wollen wir darüber nicht das nächste Mal in aller Ruhe reden? Entschuldigen Sie, aber es wartet jemand auf mich.«
    Ich wollte ihn nicht länger aufhalten. Er stand auf und steckte seine Zigaretten und das Feuerzeug ein.
    »Haben Sie sie eigentlich seitdem wiedergesehen?«, fragte er.
    »Nein, ich habe sie nicht getroffen. Und Sie?«
    »Ich auch nicht. Ich erreiche sie nicht. Sie ist weder in ihrer Wohnung, noch geht sie ans Telefon, und auch in ihrer Pantomimenklasse ist sie die ganze Zeit nicht gewesen.«
    »Vielleicht ist sie irgendwo hingefahren. Das hat sie schon öfter gemacht.«
    Er stand mit den Händen in den Taschen da und starrte auf den Tisch. »Schon eineinhalb Monate ohne einen Pfennig? So raffiniert ist sie nicht, was das praktische Leben angeht.«
    Er schnippte ein paar Mal mit den Fingern in den Taschen.
    »Ich kenne sie ganz gut, sie hat keinen einzigen Pfennig. Sie hat auch keine richtigen Freunde. Ihr Adressbuch ist zwar voller Namen, aber das sind nur Namen. Sie hat keine Freunde, die sie um etwas bitten könnte. Nein, das stimmt nicht ganz, Ihnen hat sie vertraut. Das soll jetzt kein Kompliment sein. Ich glaube, Sie waren für sie ein ganz besonderer Mensch. Ich war sogar etwas eifersüchtig auf Sie. Wirklich. Dabei bin ich eigentlich jemand, der Eifersucht kaum kennt.« Er stieß einen kleinen Seufzer aus. Dann blickte er wieder auf die Uhr. »Ich gehe jetzt. Wir können uns ja mal irgendwo treffen.«
    Ich nickte. Aber ich brachte kein rechtes Wort raus. Es ist immer dasselbe. Vor diesem Mann verschlägt es mir die Sprache.
    Ich versuchte sie danach mehrmals anzurufen, aber ihr Telefon war wegen nicht bezahlter Rechnungen abgestellt. Ich machte mir Sorgen und fuhr zu ihrer Wohnung. Ihr Zimmer war abgeschlossen. Im Briefkasten steckte ein Stapel Postwurfsendungen. Da der Hausmeister nirgendwo zu finden war, konnte ich nicht einmal feststellen, ob sie überhaupt noch dort wohnte. Ich riss eine Seite aus meinem Notizbuch, schrieb »Bitte melde dich« und meinen Namen darauf und steckte sie in den Briefkasten. Aber sie meldete sich nicht.
    Als ich das nächste Mal zu der Wohnung fuhr, hing an der Tür das Namensschild eines neuen Mieters. Ich klopfte, aber niemand öffnete. Nach wie vor war der Hausmeister nicht aufzutreiben.
    Ich gab es auf. Das war vor fast einem Jahr.
    Sie war verschwunden.
    Ich laufe noch immer jeden Morgen an den fünf Scheunen vorbei. Von den Scheunen in meiner Nähe ist immer noch keine abgebrannt. Ich habe auch nichts von einer abgebrannten Scheune gehört. Wieder ist es Dezember, und die Wintervögel fliegen über mich hinweg. Und ich werde immer noch älter.
    Nachts im

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