Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
sich, so dass das Wasser leicht gegen die Holzwände schwappte.
    »Ein Tier?«, fragte Charlotte enttäuscht.
    »Ja, ein Plattfisch. Ein Krampfrochen oder auch Torpedo genannt. Er kommt an der englischen Südküste sogar relativ häufig vor. Weil er aber flach und gut getarnt am Meeresgrund lebt, bekommt man selten einen zu sehen.«
    »Das ist ja schön, Mr. Abercrombie, das heißt, sonderlich schön ist er zwar nicht …«
    Schon drehte sich Charlotte wieder um. Demonstrativ blasiert, um den ersten Offizier, der sich tatsächlich ein bisschen in das eigenwillige deutsche Fräulein verguckt hatte, und seinen Fisch für die Unterbrechung ihres Spazierganges zu bestrafen.
    »Sie haben noch nicht gesehen, was er kann!«
    »Seilspringen?«
    Ihre Stimme klang fast derb. Weil sie sich im Spiel immer gern ihrer Umgebung anpasste. Das Lachen der Fischer verschluckte Abercrombies Antwort. Aber immerhin blieb Charlotte stehen. Als der erste Steuermann so tief in das Fass hineingriff, dass sein Kopf mit dem Dreispitz darin verschwand, hatte er erreicht, was er wollte. Charlotte kehrte zurück. Gerade noch rechtzeitig, um mitzubekommen, wie Abercrombie den Fisch geschickt aus dem Wasser zog, dabei eine Hand an dessen Oberseite legte und die andere an den Bauch schob. Nahezu im selben Moment zuckte der Mann so heftig zusammen und taumelte nach hinten, dass er, wenn einer der Inselbewohner ihn nicht gehalten hätte, wahrscheinlich zu Boden gestürzt wäre. Der zappelnde Rochen plumpste zurück in das Fass. Noch während Abercrombie sich aufrappelte, warf er Charlotte einen triumphierenden Blick aus seinen wasserblauen Augen zu.
    »Was sagen Sie jetzt?«
    Wie alle Umstehenden war Charlotte fürs Erste sprachlos. Dafür hörten sie jetzt das leise Schmatzen, mit dem sich der Fisch in seinem Gefängnis bewegte.
    »War das tatsächlich der Fisch?«, fragte Charlotte überraschend schüchtern.
    »Ein Schlag wie von einer Faust, das kann ich Ihnen sagen.«
    Noch nie seit ihm das Offizierspatent in die Hand gedrückt worden war, hatte er sich so stolz gefühlt.
    »Aber Sie wussten schon vorher, was passieren würde, nicht wahr?«
    »Na ja, zumindest so ungefähr. Es ist bekannt, dass Krampfrochen ihre Beute auf diese Art und Weise töten, deshalb heißen sie auch so.«
    »Aber wie macht der Bursche das?«
    Ihre Augen nagelten Abercrombie fest.
    »Keine Ahnung. Das heißt, in London redet man jetzt viel von einer neuen, unsichtbaren Kraft, die Schläge verursacht. In den Zeitungen steht es auch.«
    Charlotte atmete scharf ein und aus.
    »Was Sie meinen, ist Elektrizität. Aber das ist ein Tier, ein gewöhnlicher Fisch«, sagte Charlotte zögernd und mehr zu sich selbst. Gleichzeitig dachte sie an die Polypen, die zerschnitten worden waren und deren ungewöhnliche Fähigkeiten La Mettrie davon überzeugt hatten, die unsterbliche Seele als Märchen abzutun. Abercrombie zuckte mit den Schultern und kam nicht umhin, ihr Profil zu betrachten. Natürlich war ihre Nase zu lang und ihr Benehmen für eine Lady gewöhnungsbedürftig. Dafür umfasste das Landgut in Norfolk, das er einmal von seinem Onkel erben würde, auch nur 110 Acres. Nüchtern betrachtet, sagte er sich, hatte er Chancen.
    »Würden Sie es noch einmal machen, Mr. Abercrombie? Für mich!«
    Seine Kiefermuskeln arbeiteten angestrengt, verhärteten sich, wie überhaupt seine Gesichtszüge noch etwas kantiger wurden. Dieses Mal zog er aber seinen Rock aus und rollte die bereits nassen Ärmelmanschetten nach oben. Charlotte ignorierte die Intimität, die sein Blick ihr abzuverlangen versuchte, griff ihrerseits aber ungeniert und zum Entsetzen Sarahs mit der rechten Hand nach der Schulter des englischen Offiziers. Sodass auch sie, als der Schlag Abercrombie erneut mit voller Wucht traf, die Erschütterung im ganzen Körper spürte und ihre Arme und Beine unwillkürlich zuckten. Auch das Kribbeln der Spinnennetze auf der Haut stellte sich prompt ein. Es war wirklich Elektrizität!
    Charlotte bestand auf einer weiteren Wiederholung, die nicht anders ausfiel als das erste Experiment. Nur dass die Fischer der Isle of Wight die Lust am Schauen verloren, zu ihren Häusern oder Booten schlurften und dabei Kautabak und Bemerkungen in einem Dialekt, den auch Abercrombie nicht verstand, über die Spinnereien der feinen Leute zwischen ihren vorhandenen oder schon ausgefallenen Zähnen hindurchspuckten.
    »Elektrisch, er ist elektrisch. Irgendwie muss er das Fluidum in sich haben oder in seinem

Weitere Kostenlose Bücher