Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der elektrische Kuss - Roman

Titel: Der elektrische Kuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
Weil genau das auch ihre Freundin getan hatte. Als sie bei ihrem Vater durchsetzte, dass das Fräulein von Geispitzheim, das keinen Ehemann, nicht einmal einen Bräutigam für ihre Schwangerschaft hatte, in die neue Welt mitkommen durfte.
    »Nehmt mich. Ich mache es euch zwei Hübschen eh viel besser. Ich kenn da Sachen …«
    Verblüfft über die Sprüche, die sie über die Jahre von dem Kaiserslauterner Damenbesuch ihres Vaters gelernt hatte, nahm sie noch einen großen Schluck. Was machte es im Grunde schon für einen Unterschied. Hässlicher als der sächsische Graf sahen die beiden auch nicht aus. Nur dass diese Kerle im Gegensatz zu dem blutleeren Manteuffel abenteuerlich rochen. Genau wie er würden die beiden wahrscheinlich auch nicht lange brauchen. Bei dem Geschäft damals war es schließlich nur um die Elektrisiermaschine gegangen. Jetzt musste sie für den verbliebenen Seelenfrieden eines Mädchens zahlen, dem man schon so arg die Flügel gestutzt hatte, dass es nicht mehr fliegen konnte. Geschweige denn, tanzen wie eine Elfenprinzessin. Vor allem, so sagte sich Charlotte und bewies sich damit wieder einmal, dass sie viel von dem Pragmatismus ihrer Mutter geerbt hatte, war sie eh schon schwanger. Ein zweites Mal konnte sie es zum Glück nicht werden.
    Der jüngere von beiden, der offensichtlich fixer im Kopf war und die Entscheidungen traf, glotzte Charlotte zwei Atemzüge lang unentschlossen an. Dann feixte er und streckte den Arm nach der Rumflasche aus, sodass sich Sarah laut- und schwerelos von ihm wegstehlen konnte. Nicht ohne, bevor sie mit ihrem versteinerten Vater den Verschlag verließ, einem schwarzgefleckten Schwein über den Kopf zu streicheln.
    Zu ihren Füßen kullerte die leere Rumflasche. Er fand sie an der Stelle, wo sie meistens stand. Wie immer brannte die rote Lampe. Sie hielt das Gesicht in die Gischt, auf und ab mit dem Schiff schaukelnd. Er stellte sich neben sie, höchstens einen viertel Meter Abstand wahrend. Also so nahe wie noch nie.
    Weit am Horizont, wo sich das Meer und der Himmel inzwischen rot für den Abend einfärbten, sprangen Fische, von denen er inzwischen wusste, dass sie gar keine Fische waren, sondern ihre Jungen säugten und Delphine hießen, in regelmäßigen Bögen aus dem Wasser. Er wünschte sich sehnsüchtig, dass diese Tiere näher zum Schiff kämen und Charlotte sie sehen könnte. Sie würde sich, soweit kannte er sie inzwischen, freuen und vielleicht sogar über die Sprünge der Delphine lachen. Das war ihm plötzlich wichtiger als alles andere. Seine Augen glitten über das Meer und flehten. Aber die Delphine blieben weit draußen. Die Flasche kullerte weg, blieb bei einem Stapel aufgerollter Tampen liegen, rollte bei der nächsten Welle, die das Schiff ergriff, mit einem trostlosen Geräusch weiter. Wie sollte er beginnen? Samuel zupfte an seinem Bart. Es gab so vieles zu sagen. Er hatte, als er mit Sarah zu ihrem Lager im Zwischendeck zurückgekehrt war, in der Bibel nachgelesen, passende Stellen und weise, heilende Worte des Heilands gefunden. Dann aber waren ihm merkwürdigerweise immer mehr eigene Worte in den Sinn gekommen, noch nie ausgesprochene Worte, die er ihr sagen wollte. Die er ihr sagen musste! Aber wie damit anfangen? Sie kam ihm zuvor:
    »Na, Hochstettler, glauben Sie noch immer, dass es Gott gibt? Oder müsste er doch erst noch erfunden werden?«
    Ihre Stimme klang so rau, dass seine Haut schmerzte. Trotzdem rückte er an der Reling entlang näher. Ein, zwei Fingerbreit.
    »Seit vorhin glaube ich mehr denn je an seine Liebe und Gnade. Und wenn es noch einen letzten Beweis für Gott bräuchte, dann sind Sie das.«
    Das Meer war jäh tintenblau geworden, und die große Nacht hing voller Lichter und Irrlichter über ihnen.

Kapitel 10
    D as Fieber sprang schneller als die Flöhe. Es nistete sich in Achselhöhlen, Ohrmuscheln und Bäuchen ein, bei Kräftigen und bei Säuglingen, es loderte und rüttelte an ihrem Leben. Auf der »Good Intent« fehlte ein Ventilationssystem, das neuere Schiffe schon hatten und das Frischluft hinunter ins Zwischen- und Unterdeck geführt hätte. Die alte Luft faulte wie eine vergessene Birne. Jeden Tag stand jetzt die Sonne hoch und hämmerte auf das Schiff. Die Segel wurden so weiß, dass sie blendeten, wenn man zu ihnen hochschaute. Nur die Matrosen litten nicht darunter, sondern zogen ihre Hemden aus, kletterten den Mast hinauf und rasend schnell wieder hinunter, und allein schon davon färbten sich ihre

Weitere Kostenlose Bücher