Der Elfenpakt
echt.«
»Nur in echt!« An diesem Abend schien Charlie sich in der Rolle eines Papageis zu gefallen. »Du meinst diese kleinen Wesen mit Flügeln, die zwischen Glockenblumen hin und her flattern?«
Henry kapitulierte und sagte: »Ich glaube, ich hab mal eine gesehen …«
»Du glaubst, du hast mal …?«
»Charlie«, zischte Henry. »Würdest du bitte aufhören, mir alles nachzuplappern? Ja, ich glaube, ich habe mal eine gesehen.«
»Du hast ein kleines Wesen mit Flügeln gesehen, das zwischen Glockenblumen hin und her flatterte?«
»Ich war ziemlich im Stress«, sagte Henry.
Das wiederum weckte ihr Interesse. Charlie wusste genau, wovon Henry sprach. Sie runzelte die Stirn. »Hat deine Mutter dich etwa dazu gebracht, dir Dinge einzubilden?« Sie klang ehrlich schockiert.
»Ich glaube schon. Woran soll’s denn sonst liegen?« Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Aber das Ding flog nicht zwischen den Glockenblumen hin und her. Hodge hat es gefangen.«
»Mr. Fogartys Kater?«
Henry nickte. »Ja.«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über Charlies Lippen. »Mr. Fogartys Kater hat eine Elfe gefangen?«
»Hör zu«, drängte er, »bis heute habe ich das alles für real gehalten. Dann habe ich meinen Vater besucht, der hat eine neue Freundin. Und als ich nach Hause kam, war Anaïs bei meiner Mutter eingezogen.«
»O Gott!«, rief Charlie, ernsthaft entsetzt. Jetzt war das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwunden. »Heißt das, dass du mit deiner Mutter und Aisling und nun auch noch mit dieser grässlichen Anaïs zusammenleben musst?«
»Eigentlich ist sie gar nicht so grässlich. Sogar echt ganz nett. Also, sie versucht es zumindest. Aber kannst du dir vorstellen …«
»Oh, ich kann’s mir sehr gut vorstellen«, sagte Charlie aufgebracht. »Sie werden sich scheiden lassen, stimmt’s? Wenn dein Vater jetzt auch eine neue Freundin hat?«
Henry nickte unglücklich. »Ich denke schon.«
Charlie griff nach seiner Hand. »Es ist nicht so furchtbar, wie du denkst, Henry. Es ist zwar ganz schön blöd, aber nicht so blöd, wie du denkst. Und wenn es vorbei ist, dann ist es vorbei.«
Charlies Eltern waren bereits geschieden, und inzwischen hatte ihre Mutter wieder geheiratet, einen Mann, den Charlie anhimmelte.
»Weißt du denn, wie das mit den Kindern läuft?«, fragte Henry unsicher. »Mit mir und Aisling zum Beispiel? Ich meine, müssen wir vor Gericht erscheinen? Und wer entscheidet, wer wo leben muss?« Er schluckte. »Ich will nämlich nicht auf Dauer mit meiner Mutter und Anaïs zusammenwohnen – das wäre für meinen Vater einfach zu schrecklich. Aber ich kann auch unmöglich bei ihm einziehen, wenn er eine neue Freundin hat. Hab ich dir schon erzählt, dass sie so jung ist? Nur ein paar Jahre älter als wir. Ich könnte da nicht wohnen, mal ganz davon abgesehen, dass er mich eh nicht bei sich haben will. Muss ich deswegen in ein Waisenhaus, bis ich achtzehn bin?«
»Ich hab keine Ahnung, Henry«, sagte Charlie. »Ich war damals noch zu klein und kann mich kaum erinnern. Aber ich glaube, meine Eltern haben das alles unter sich ausgemacht, und ich war froh, mit meiner Mutter zusammenzuwohnen. Meinen richtigen Vater hab ich gehasst. Das war ganz anders als jetzt bei dir.« Sie starrte eine Weile nachdenklich vor sich hin, dann schaute sie Henry wieder an. »Was soll denn diese Geschichte mit den Elfen?«
Henry seufzte. »Ach, das ist reiner Unsinn.« Er schüttelte den Kopf und versuchte zu lächeln. »Das war, nachdem diese ganze Sache mit meiner Mutter und Anaïs angefangen hatte. Oder jedenfalls, nachdem ich davon erfahren hatte. Wahrscheinlich bin ich einfach nicht damit klargekommen. Wie oft kriegt man schon zu hören, dass die eigene Mutter lesbisch ist? Wahrscheinlich wollte ich da irgendwie raus. Verstehst du, einfach raus … aus allem. Und weil es dazu keine Möglichkeit gab, habe ich … habe ich angefangen, Dinge zu erfinden, schätze ich mal. In meinem Kopf. Ich glaube, ich habe mir eine komplett andere, verrückte Welt ausgedacht«, wieder lächelte er schwach, »und bin einfach irgendwie … abgetaucht.« Als er Charlies Gesichtsausdruck sah, wäre er am liebsten in Tränen ausgebrochen.
»Aber … was genau ist denn passiert?«, fragte sie in einer merkwürdigen Mischung aus Verwirrung und Mitleid.
Henry hatte schon viel zu viel erzählt, um nun noch einen Rückzieher zu machen. Außerdem vertraute er Charlie. Er hatte immer alles mit ihr besprochen, von klein auf. Er holte tief Luft
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