Der endlose Tod
wie ich und jeder oder jede andere mit Verstand, was Mutter allerdings ausdrücklich ausschließt.«
Sie blieb bei den Bibliothekstüren stehen. Sie waren geschlossen, damit wir eine Möglichkeit hatten, uns privat zu unterhalten, bevor die Feier begann, auch wenn das bei Mutters ungewisser Stimmung ein gewisses Risiko bedeutete. Sie hatte sich noch nicht von der furchtbaren Wahnvorstellung über ihre Kinder befreit, und es bestand immer die Möglichkeit, dass sie hereinplatzte und sich wieder in einen Anfall hineinsteigerte, wenn sie uns beide in trauter Zweisamkeit vorfände. Elizabeth wollte vielleicht horchen, ob sich ihre Schritte näherten.
»Es ist niemand dort draußen«, sagte ich.
»Bist du sicher?«
»Eines der Hausmädchen ist vor einer Minute vorbeigegangen, das ist alles. Sheba war es, glaube ich.«
Nun blickte sie fröhlicher drein und sah mehr nach sich selbst aus. Sie schien niemals das Interesse an meinen geschärften Sinnen oder ihre Freude daran zu verlieren. »Du kannst den Unterschied erkennen?«
»Das ist nicht weiter schwierig, wenn man ein wenig Übung hat.«
Die Freude fiel in sich zusammen, als ihre Probleme wieder zurückkehrten.
»Was soll ich tun? O Gott, ich weiß, was ich tun sollte, ich hasse es bloß, dass ich diejenige bin, die es tun muss. Sie sollte diejenige sein, die das Haus verlässt, nicht ich.«
»Wirst du also an Miss Holland schreiben?«
»Nach der Teegesellschaft. Ich würde schon jetzt beginnen, aber ich möchte nicht riskieren, Tintenflecken auf meine Finger zu machen. Sie erwartet von mir, eine Vorstellung abzuliefern wie ein dressierter Affe, und wehe mir, wenn ich bei der Vorführung nicht perfekt aussehe.«
»Ungeachtet von Mutters Erwartungen an dich siehst du perfekt aus. Abgesehen davon ist die Ehre, den Tee zu servieren, stets der Tochter des Hauses vorbehalten.«
»Wie ich schon sagte, ein dressierter Affe könnte – oh, mache dir keine Gedanken, ich werde es irgendwie überstehen. Es ist ja nicht so, als hätte ich keine Übung.« Sie rauschte im Raum auf und ab; ihr weiter Rock drohte einen kleinen Tisch umzuwerfen, da sie nicht aufpasste, wohin sie ging.
»Wie ist Kusine Anne denn so?«, fragte ich in der Hoffnung, sie abzulenken.
»Man kann sehen, dass sie eine Fonteyn ist, mit diesen blauen Augen und dem schwarzen Haar. Sie scheint recht nett zu sein, aber ich hatte noch keine Möglichkeit, mit ihr oder ihrer Begleitung zu sprechen. Sie haben sich den größten Teil des Tages von ihrer Reise ausgeruht.«
»Wir werden sie noch früh genug besser kennen lernen.« Vielleicht zu gut, fügte ich still hinzu, da mich ein Teil von Elizabeths Pessimismus ereilt hatte. Ich freute mich nicht darauf, noch mehr Verwandte von Mutters Seite der Familie zu treffen. Auch wenn Vetter Oliver ein sehr anständiger Bursche war, war seine Mutter im Geiste ein Drache. Ich machte mir Sorgen, dass Kusine Anne eine ähnlich grausame Ader habe; hoffentlich nicht, da es so aussah, als ob sie eine Weile bei uns bleiben würde.
Nun kam Sheba herein und kündigte an, dass wir im Salon erwartet würden. Elizabeth schenkte mir ein grimmiges Lächeln, schob ihr Kinn vor und glitt voran wie ein Schiff, das in die Schlacht segelt. Ich folgte ihr auf dem Fuße, indem ich meine Stirn wieder glättete, um mich darauf vorzubereiten, unsere neuen Hausgäste zu treffen.
Trotz Elizabeths Befürchtungen schien sie ihre Pflichten zu genießen. Es war eine recht umfangreiche Gesellschaft; mehrere unserer Nachbarn waren aufgetaucht, und sogar Lieutenant Nash hatte eine Einladung erhalten. Ich hegte den Verdacht, dass Vater sie ausgesprochen hatte, in der Hoffnung, seine Beziehungen zu den Kommissaren zu verbessern.
Elizabeth hatte anmutig ihren Platz am Teetisch eingenommen. Sie maß den Tee aus seinem Kästchen ab und stellte sicher, dass die richtige Menge an heißem Wasser in die Kanne gegossen wurde. Bald defilierten alle an ihr vorbei und erhielten die erste von zahlreichen Tassen Tee des Abends.
Einschließlich mir selbst, denn ich wollte zumindest den Eindruck vermitteln, dass ich wie alle anderen an der Feier teilnahm. Vater sah amüsiert zu, wie ich vorgab, an meinem Tee zu nippen, da er wusste, wie schwierig es für mich war, die Tasse auch nur an die Lippen zu führen. Einst war es eins meiner Lieblingsgetränke gewesen; nun roch es schrecklich für mich. Sobald er seine eigene Tasse geleert hatte, zeigte er Erbarmen und tauschte sie bei der ersten Gelegenheit gegen
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