Der endlose Tod
Aus Überlegungen der Ehre heraus könnte er mir verbieten, etwas zu unternehmen.
Verflixt, noch einmal. Ich wurde tatsächlich wie Mutter. Ich tat dies zu Vaters eigenem Besten, ohne seine Erlaubnis.
So sei es, dachte ich müde. Für den Frieden in der Familie und aus Liebe zu meinem Vater sei es so.
Ich straffte mich, nahm wieder Blickkontakt zu Mutter auf, und begann zu sprechen.
KAPITEL 8
Tage – und Nächte – vergingen, und nichts passierte, Gott sei Dank. Indem sie unbewusst auf meine Beeinflussung reagierte, tat Mutter, was von ihr verlangt wurde, nämlich überhaupt nichts.
Ich hatte die Beeinflussung auf das mögliche Minimum reduziert und nur die kurze und einfache Bitte ausgesprochen, dass sie nicht versuchen solle, Vater je wieder zu verletzen oder ihm Schaden zuzufügen. Nachdem ich mich erst einmal versichert hatte, dass sie mich vollkommen verstand, sagte ich ihr, dass sie mein Eindringen bei ihr vergessen solle, aber nicht ihr Versprechen, und dass sie weiterschlafen solle. Als ich mich einen Augenblick später nicht mehr so verunsichert fühlte, löschte ich die Flammen, brachte die Kerzen sorgsam dahin zurück, wo ich sie gefunden hatte, nahm diejenige, die ich mitgebracht hatte, wieder mit und verließ das Zimmer.
Draußen war alles still, die Halle, die Räume, das ganze Haus war noch ebenso still wie zuvor. Eine lauschende Stille, sagte meine schuldige Phantasie, aber ich war sicher vor Entdeckung.
Abhängig vom eigenen Gewissen kann Schuld durch die vergehende Zeit nachlassen, und zu meiner Überraschung bemerkte ich, dass mein Gewissen um einiges anpassungsfähiger war, als ich gedacht hatte – zumindest, was diese Angelegenheit betraf. Als eine Nacht nach der anderen ohne weiteren Zwischenfall verging, begann ich zu verstehen, dass das, was ich unternommen hatte, die richtige Aktion gewesen war. Der einzige Nachteil war der, dass ich nicht mit den anderen darüber sprechen konnte.
Sicher hätte es ihnen geholfen, zu wissen, dass der Grund, sich Sorgen zu machen, nicht mehr existierte, aber es schien mir das Beste zu sein, den Dingen wie üblich ihren Lauf zu lassen. Es war keineswegs so, dass mir ihre Besorgnis egal gewesen wäre; ich beruhigte sie, wenn es nötig war, aber ansonsten hielt ich meinen Mund. Nach einer Weile trat eine Entspannung ein, und das Leben wurde allmählich wieder normal. Oder zumindest fast normal. Vater nahm seine Gewohnheit, Tee mit uns zu trinken, wieder auf und hörte auf, so zweifelnd zu blicken, wenn ihm sein Abendessen serviert wurde. Elizabeth, die durch Norwood abgelenkt war, hörte auf, hinter Mutter herzulaufen, immer wenn diese einen Raum alleine verließ. Jericho und Archimedes stellten ihre Suche nach Laudanum ein, wenn sie auch in Bezug auf Nahrung oder Getränke ein scharfes Auge auf Mutter hatten.
Doch Beldon blieb stets wachsam. Vielleicht aus Enttäuschung über Vaters Verbot, Fragen zu stellen, überwachte er Mutter so intensiv, wie er konnte.
»Ich fühle mich schlecht wegen dieser Angelegenheit, Mr. Barrett«, vertraute er mir eines Nachts kurz nach dem Geschehnis an. »Meine Unvorsichtigkeit war unentschuldbar. Sie wird sich nicht wiederholen.«
»Es ist nicht Ihre Schuld, Sir. Wie hätten Sie es wissen sollen? Oder auch nur vorausahnen können?«
»Ich sollte es einfach.« Er berührte die Tasche, in der er die neuen Schlüssel für seine Arzttasche und sein Zimmer aufbewahrte. »Es wird niemals wieder passieren.«
»Dann gibt es ganz sicher keinen Grund, sich schlecht zu fühlen.«
Er warf mir einen düsteren Blick zu. »Es gibt einen solchen, sollte Ihre Mutter sich entschließen, noch einen anderen Versuch mit einem anderen Hilfsmittel zu unternehmen.«
Ich behielt mein ernstes Gesicht bei. »Was stünde ihr denn offen?«
»Es gibt eine ganze Anzahl von Jagdwaffen im Haus, einige Pistolen, und Sie wissen, dass Lord James eine eigene hübsche Waffensammlung besitzt.«
»Darüber brauchen Sie sich kaum Gedanken zu machen. Mutter weiß nichts darüber, wie Feuerwaffen geladen werden oder wie mit ihnen geschossen wird. Man muss wissen, was zu tun ist, damit sie richtig funktionieren, und sie weiß es nicht.«
Dies war ein gewisser Trost für ihn, zumal es völlig der Wahrheit entsprach. Wir hatten die Waffen, das Schießpulver und Schrot zur Verfügung und waren bereit, sie zu benutzen, da die Zeiten so unsicher waren. Es gab räuberische Rebellen, die uns anzugreifen drohten, bereit, gemeine Raubüberfälle unter dem
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