Der Engel Der Kurie
tastete scheu nach Serenas Hand. »Da hast du deine Zelle oder zumindest im Dormitorium eine trockene Pritsche, kannst dich morgens und abends satt essen und in der Küche am Feuer wärmen und darfst ohne Sorge um dein Leben stundenlang in der Kapelle mit anderen beten. Lesen und schreiben lernt man im Kloster und wird mit etwas Glück sogar gebildet.«
»Ich weiß nicht«, flüsterte Serena und schaute sich um, ob ein Augustiner in der Nähe war, »ob das nicht Träume sind. Meine Tante hat auch immer von dem wunderbaren Leben einer Cortigiana geschwärmt und wurde doch nur eine einfache Puttana; glücklich war sie nicht.«
»Was ist schon Glück? Ein wenig Geborgenheit würde mir schon genügen.«
»Immerhin hast du deine Freunde – und mich«, erwiderte Serena, und Cesare nickte ihr dankbar zu.
Die Kapuzen hochgezogen, traten sie in den kalten Regen hinaus und wandten sich zum Tiber; sie sollten in einer knappen Stunde mit Luigi in einem Schuppen bei der Porta Angelica zusammentreffen; vielleicht gab es ja Neuigkeiten.
»Wenn Luigi immer noch nichts herausgefunden hat, dann sollten wir den deutschen Dominikaner endlich einweihen«, bemerkte Serena, während sie mühsam versuchte, mit Cesares Tempo Schritt zu halten.
»In Ordnung«, antwortete er gönnerhaft, »wenngleich ich die Sache lieber ohne einen Kleriker erledigt hätte.«
In der Mitte der Engelsbrücke blieben sie stehen und sahen hinab in die braunen Fluten des Tiber, die selbst den schmalen Uferstreifen unter der Engelsburg bedeckten, so daß es schien, als stehe die Burg mitten im Wasser. Trutzig ragten die schweren Mauern des Kastells empor, und das antike Mausoleum wirkte wie ein unverrückbarer Klotz aus grauer Vorzeit, eine uneinnehmbare Wehr- und Schutzburg.
»Wußtest du«, Cesare deutete zur Burg hinüber, »daß dort drüben auf engstem Raum prunkvolle Säle und furchtbare Verliese beieinander liegen? Eine spiralförmige Rampe soll die einzelnen Stockwerke miteinander verbinden, und in den Sälen, Kammern, Fluren und Kerkern kann man sich verlaufen. Die schlimmsten Verbrecher werden dort in tiefster Tiefe gefangengehalten, und niemals soll je ein Schrei der Gefolterten nach draußen gedrungen sein. – Vielleicht«, flüsterte er Serena ins Ohr, »sitzt der Hurenmörder bereits in einem Verlies, und wir haben es nur nicht erfahren.«
»Ach, wenn ich wüßte, daß er seine gerechte Strafe erfährt, könnte ich gut von der Sache lassen. – Woher kommt übrigens der Name?«
Cesare lächelte; ihm tat es immer gut, Dinge zu erklären, die Serena nicht wußte. »Einst soll die Burg Hadrianeum geheißen haben. Dann wütete eine furchtbare Krankheit unter den Römern und verbreitete Angst und Schrecken. Schon überlegte der Papst, ob die Lebenden Rom verlassen sollten, als ihm ein über der Burg schwebender Engel erschien, der sein gezücktes Schwert lächelnd in die Scheide zurücksteckte; da wußte Gregor der Große, daß die Gefahr vorbei war, und er nannte die Burg fortan Castel Sant' Angelo.«
Serena mochte Cesares Geschichten. Auf eine wundersame Weise halfen sie ihr, daß ihr die Stadt trotz aller Grausamkeit vertrauter wurde. Obgleich ihre Tante ihr fehlte, fühlte sich Serena weniger einsam als früher. Selbst die Sorge für den kleinen Giovanni lastete nicht so schwer auf ihr, wie sie gedacht hatte; allerdings nahmen ihr Apollonias Mädchen den Jungen bei jeder Gelegenheit ab; mit seinem dunklen Lockenschopf, den riesigen braunen Augen und seinem hellen Kinderlachen konnte er sogar die griesgrämige Apollonia erheitern.
Sie waren unter dem Passetto hindurch hinter die Engelsburg gelangt und liefen die Aurelianische Stadtmauer entlang zur Porta Angelica. Der Regen ließ allmählich nach, und sie schlugen ihre Kapuzen zurück. In den Gassen war ihnen kaum jemand begegnet, doch vor dem Stadttor fiel ihnen eine Menschenansammlung auf. Mehrere Kinder und Frauen standen um einige Schweizergardisten und zeterten. Die Hellebardenträger bahnten eine Gasse durch die Menschen, und zwischen ihnen schritten zwei Männer in schwarzen Kutten, jeder von ihnen hielt ein Kind am Oberarm gepackt.
Serena und Cesare sahen sich an, und in ihren Gesichtern stand eine bange Frage. Cesare nickte. An die Stadtmauer gedrückt, schlichen sie auf den Menschenhaufen zu, und einen Moment später sahen sie, was sie befürchtet hatten: Die Männer führten Luigi und Massimiliano ab. Schon bogen die Gardesoldaten und die beiden Kleriker in die Gasse ein, die
Weitere Kostenlose Bücher