Der Engel Esmeralda
Schwankungen.«
»Es gibt irgendeine Interferenz. Ich bin schon auf redundant gegangen, aber ich weiß nicht, ob es hilft.«
»Wir geben einen Outframe frei, um die Quelle zu orten.«
»Danke, Colorado.«
»Wahrscheinlich ist es nur selektive Geräuschentwicklung. Sie sind negativ-rot auf dem Stufenfunktionsquadranten.«
»Es war eine Stimme«, erklärte ich ihnen.
»Selektive Geräuschentwicklung positiv, haben wir gerade reinbekommen.«
»Ich konnte Wörter verstehen, auf Englisch.«
»Verstanden. Selektive Geräuschentwicklung.«
»Da hat jemand gesprochen, Colorado.«
»Was denken Sie, was selektive Geräuschentwicklung ist?«
»Ich weiß nicht, was es ist.«
»Sie empfangen da den Überlauf von einem der Unbemannten.«
»Wenn er unbemannt ist, wie kann er dann eine Stimme senden?«
»Dasist keine Stimme an sich, Tomahawk. Es ist selektive Geräuschentwicklung. Dafür haben wir definitiv belastbare Telemetrie.«
»Es klang wie eine Stimme.«
»Es soll wie eine Stimme klingen. Aber es ist keine Stimme an sich. Es ist verstärkt.«
»Sie klang unverstärkt. Sie klang in vielerlei Hinsicht menschlich.«
»Es sind Signale, und sie entstammen dem Überlauf aus dem geosynchronen Orbit. Das ist Ihr Abweichler. Sie empfangen Stimmcodes aus 22.000 Meilen Entfernung. Im Grunde ein Wetterbericht. Wir korrigieren das, Tomahawk. Bis dahin bleiben Sie besser auf redundant.«
Etwa zehn Stunden später hörte Vollmer die Stimme. Dann hörte er zwei oder drei andere Stimmen. Es waren sprechende Menschen, Menschen im Gespräch. Er machte mir beim Zuhören Zeichen, deutete auf den Kopfhörer, zog dann die Schultern hoch und streckte die Hände aus, um Überraschung, ja Verblüffung auszudrücken. Es war (so sagte er später) in den Schwarmgeräuschen nicht einfach mitzubekommen, worum ihr Gespräch ungefähr ging. Es gab häufiges Rauschen, die Bezüge waren eher unbestimmt, aber Vollmer erwähnte, dass ihn diese Stimmen intensiv ergriffen hätten, auch wenn die Signale ganz schwach angekommen seien. Eines wusste er ganz genau: Selektive Geräuschentwicklung sei das nicht. Sondern die reinste, süßeste Traurigkeit, die aus dem fernen Weltraum dringe. Er war sich nicht sicher, meinte aber, da sei auch ein Hintergrundgeräusch gewesen, das zu dem Gespräch gehöre. Gelächter. Das Geräusch lachender Menschen.
In anderen Übertragungen war es uns möglich, Themenmusikzu erkennen, eine Anmoderation, witzige Sprüche und aufbrandenden Applaus, Werbespots für Produkte, deren lang untergegangene Markennamen die goldene Antike großer Städte heraufbeschwören, Städte, die unter Sand und Flussschlick begraben liegen.
Irgendwie empfangen wir Signale von vierzig, fünfzig, sechzig Jahre alten Radiosendungen.
Unsere derzeitige Aufgabe besteht daraus, Bilddaten über Truppenbewegungen zu sammeln. Vollmer umkreist seine Hasselblad-Kamera, vertieft in irgendeine Minimalanpassung. Da, das meerwärts gerichtete Anschwellen einer Stratocumuluswolke. Sonnenglast und Küstenströmung. Ich sehe Planktonblüten in einem Blau von solch persischer Üppigkeit, dass es einer animalischen Ekstase gleichkommt, ein Farbwechsel, der ein intuitives Entzücken ausdrückt. Die Oberflächenmerkmale entfalten sich, und ich nenne sie nacheinander beim Namen. Das ist das einzige Spiel, das ich im Weltraum spiele, die Erdnamen aufzusagen, die Nomenklatur von Kontur und Struktur. Gletscherkolk, Moränenschutt. Schmetterkegel am Rand eines vielfach konzentrischen Einschlagkraters. Eine neu entstehende Caldera, eine Kette zinnenbewehrter Klippensimse. Jetzt über die Sandmeere. Bogendünen, Sterndünen, gerade Dünen mit Speichenkämmen. Je leerer die Landschaft, desto leuchtender und präziser die Namen für ihre Merkmale. Vollmer sagt, das ist die größte Leistung der Wissenschaft, die Benennung der Dinge auf der Welt.
Er hat Abschlüsse in Naturwissenschaften und Technologie gemacht. Er war Stipendiat, Student mit Auszeichnung, Forschungsassistent. Er betreute wissenschaftliche Projekte und lasTechnikaufsätze mit der tiefen redlichen Stimme, die von seinem Gaumen abrollt. Als Missionsspezialist (also Generalist) nehme ich ihm manchmal seine nichtwissenschaftlichen Wahrnehmungen übel, die aufschimmernden Momente von Reife und ausgeglichenem Urteilsvermögen. Ich fühle mich allmählich ein bisschen, als hätte er mich überholt. Er soll sich an Systeme halten, den Bord-Leitfaden, die Datenparameter. Seine menschlichen Einsichten machen
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