Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
mich nervös.
    »Ich bin glücklich«, sagt er.
    Diese Worte serviert er mit sachlicher Endgültigkeit, und diese schlichte Äußerung löst etwas Heftiges in mir aus. Sie macht mir Angst, genauer gesagt. Was soll das heißen, er ist glücklich? Liegt Glück nicht völlig außerhalb unseres Bezugsrahmens? Wie kann er es für möglich halten, hier glücklich zu sein? Ich möchte am liebsten zu ihm sagen: »Das ist hier nur ein Haushaltsarrangement, eine Anzahl mehr oder weniger standardisierter Aufgaben. Kümmere dich um deine Aufgaben, mach deine Testreihen, geh deine Checklisten durch.« Ich möchte zu ihm sagen: »Vergiss den Maßstab deiner Vision, den Bogen der Dinge, den Krieg selbst, den furchtbaren Tod. Vergiss die Nacht am Himmelszelt, die Sterne als statische Punkte, als mathematische Felder. Vergiss die kosmische Einsamkeit, die aufwallende Ehrfurcht und Angst.«
    Ich möchte sagen: »Glück ist kein Aspekt dieser Erfahrung, zumindest nicht in dem Maße, dass jemand kühn genug sein dürfte, es zu erwähnen.«
    Lasertechnologie trägt einen Kern der Vorahnung und des Mythos in sich. Sie ist eine saubere Art tödlicher Paketlösung, mit der wir umzugehen haben, ein manierlicher Photonenstrahl,ein technisierter Zusammenhang, aber wir nähern uns der Waffe, den Kopf voller uralter Warnungen und Ängste. (Es müsste einen Begriff für diesen ironischen Zustand geben: primitive Angst vor den Waffen, für deren Erfindung und Produktion wir fortgeschritten genug sind.) Vielleicht wurden die Projektleiter deshalb angewiesen, ein Abschussprozedere auszuarbeiten, das auf den koordinierten Handlungen zweier Männer basiert – zweier Temperamente, zweier Seelen –, die das Steuerelement gemeinsam bedienen. Angst vor der Kraft des Lichts, dem Reinstoff des Universums.
    Ein finster gesinnter Einzelner könnte es in einem Geistesblitz für befreiend halten, einen konzentrierten Strahl auf einen dahinrumpelnden Buckel-Jumbojet zu richten, der in dreißigtausend Fuß Höhe seine Handelsrunden dreht.
    Vollmer und ich nähern uns der Abschusskonsole. Sie ist so entworfen, dass diejenigen, die sie gemeinsam bedienen, Rücken an Rücken sitzen müssen. Der Grund dafür ist, obwohl das Colorado-Kommando das nie ausdrücklich gesagt hat, dass wir das Gesicht des anderen nicht sehen sollen. Colorado will sichergehen, dass das Personal, gerade an den Waffen, nicht von den Ticks und der Unruhe des anderen beeinflusst wird. Also sitzen wir Rücken an Rücken, an unsere Sitze geschnallt, bereit zum Start, Vollmer in seinem violett-weißen Trikot und seinen Vlies-Puschen.
    Dies ist nur ein Test.
    Ich starte das Playback. Als ein Befehl vom Band ertönt, stecken wir beide einen Modalschlüssel in seinen Schlitz. Wir zählen gemeinsam von fünf herunter und drehen die Schlüssel dann eine Vierteldrehung nach links. Das versetzt das System in den sogenannten aufgeschlossenen Modus. Wirzählen von drei herunter. Die verstärkte Stimme sagt: Sie sind jetzt aufgeschlossen .
    Vollmer spricht in seinen Stimmerkennungsanalysator.
    »Dies ist Code B für Bluegrass . Bitte Stimmidentität feststellen.«
    Wir zählen von fünf herunter, dann sprechen wir in unsere Stimmerkennungsanalysatoren. Wir sagen, was uns gerade einfällt. Es geht nur darum, eine Stimmprobe zu produzieren, die der Stimmprobe im Datenarchiv entspricht. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Männer an der Konsole auch wirklich die dafür Befugten sind, wenn das System im aufgeschlossenen Modus ist.
    Mir fällt gerade folgender Satz ein: »Ich stehe an der Ecke Fourth und Main Street, wo Tausende aus unbekannten Gründen gestorben sind, ihre verkohlten Leichen stapeln sich auf der Straße.«
    Wir zählen von drei herunter. Die verstärkte Stimme sagt: »Sie haben die Freigabe, zur arretierten Position überzugehen.«
    Wir drehen unsere Modalschlüssel halb nach rechts. Ich aktiviere den Logikchip und mustere die Zahlen auf meinem Bildschirm. Vollmer klinkt die Stimmerkennung aus und setzt uns in Stimmfeldbezug mit dem Sinnesgeflecht des Bordcomputers. Wir zählen von fünf herunter. Die verstärkte Stimme sagt: Sie sind jetzt arretiert .
    Während wir Schritt für Schritt vorgehen, erfüllt mich zunehmende Befriedigung – das Vergnügen an elitären Geheimkompetenzen, an einem Leben, in dem jeder Atemzug von spezifischen Regeln, Mustern, Codes, Kontrollen geregelt wird. Ich versuche, die Ziele der Operation auszublenden, das, worum es dabei eigentlich geht, das

Weitere Kostenlose Bücher