Der Engel Esmeralda
mit Colorado in Verbindung. Wir sind jetzt keine zerbrechlichen biologischen Vertreter unserer Spezies mehr, die in einer fremden Umgebung dahintreiben. Der Feind kann uns mit seinen Photonen und Mesonen und aufgeladenen Partikeln umbringen, schneller als Kalziummangel oder Innenohrbeschwerden, schneller als jede Bestaubung durch Mikrometeoroiden. Die Gefühlslage hat sich verändert. Wir sind keine Kandidaten mehr für einen peinlichen Niedergang, für die Art Fehler oder unvorhergesehenen Vorfall, die eine ganze Nation nach der angemessenen Reaktion suchen lässt. Als Männer im Krieg können wir, wenn wir sterben, gewiss sein, dass wir unkomplizierte Trauer hervorrufen werden, die offenen, verlässlichen Gefühle, auf die dankbare Nationen zählen, um die schlichteste Zeremonie zu verschönern.
Eine Anmerkung zum Universum. Vollmer steht kurz davor zu beschließen, dass unser Planet der einzige ist, der intelligentesLeben beherbergt. Wir sind ein Unfall, und wir sind nur einmal passiert. (Was für eine Bemerkung in der eiförmigen Umlaufbahn gegenüber jemandem, der keine großen Fragen diskutieren will.) Das findet er, weil wir Krieg haben.
Der Krieg, sagt er, wird dem Gedanken ein Ende bereiten, dass das Universum, wie es heißt, vor Leben wimmelt. Andere Astronauten haben über die Sternenpunkte hinausgesehen und sich unendliche Möglichkeiten vorgestellt, Welten in Traubenclustern, wo es von höheren Daseinsformen nur so wimmelt. Aber das war vor dem Krieg. Selbst jetzt verändern sich unsere Ansichten, seine und meine, sagt er, während wir am Firmament schweben.
Meint Vollmer, kosmischer Optimismus sei ein Luxus, der für die Zeit zwischen den Weltkriegen reserviert ist? Projizieren wir unser aktuelles Versagen und Verzweifeln hinaus auf die Sternenwolken, die endlose Nacht? Schließlich und endlich, sagt er, wo sind sie denn? Wenn sie existieren, warum hat es kein Zeichen gegeben, nicht eins, gar keins, kein einziges Anzeichen, an dem sich ernsthafte Menschen festhalten könnten, kein Flüstern, kein Funksignal, kein Schatten? Der Krieg sagt uns, dass jeder Glaube töricht ist.
Unsere Dialoge mit dem Colorado-Kommando klingen langsam wie computergenerierter Kaffeeklatsch. Vollmer erträgt den Colorado-Jargon nur begrenzt. Er kritisiert ihre abgegriffenen Ausdrucksweisen und sagt das auch offen. Warum, frage ich mich, wo ich doch mit seinen Ansichten in diesem Punkt übereinstimme, bin ich zunehmend genervt von seinem Gemecker? Ist er mir zu jung, um den großen Sprachverfechter zu geben? Hat er genug Erfahrung und professionelles Standing, um unseren Flugdynamik-Offizier, unserenKonzeptparadigmen-Offizier, unsere Statusberater wegen ihrer Abfallmanagementsysteme und fluchtbezogenen Zonierungsoptionen zu rügen? Oder liegt es an etwas ganz anderem, das mit dem Colorado-Kommando und unserer Kommunikation mit denen da unten gar nichts zu tun hat? Ist es der Klang seiner Stimme? Ist es nur seine Stimme , die mich wahnsinnig macht?
Vollmer ist in eine seltsame Phase eingetreten. Er verbringt jetzt die ganze Zeit am Fenster und schaut auf die Erde hinunter. Er will einfach nur schauen, nichts tun als schauen. Die Ozeane, die Kontinente, die Archipele. Wir sind in einer sogenannten Orbitdurchquerungsserie konfiguriert, das heißt, es gibt keine Wiederholung von einer Runde um die Erde zur nächsten. Er sitzt da und schaut. Er isst seine Mahlzeiten am Fenster, geht seine Checklisten am Fenster durch, wirft kaum einen Blick auf die Befehlsblätter, während wir über tropische Wirbelstürme, Präriebrände und größere Bergketten hinwegfliegen. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass er zu seiner Vorkriegsgewohnheit zurückkehrt und die Erde mit originellen Bildern beschreibt: Sie ist ein Strandball, eine sonnengereifte Frucht. Aber er schaut nur aus dem Fenster, isst Mandelriegel und lässt deren Verpackungen wegschweben. Die Aussicht nimmt eindeutig sein ganzes Bewusstsein in Beschlag. Sie ist kraftvoll genug, ihn zum Schweigen zu bringen, die Stimme verstummen zu lassen, die von seinem Gaumen rollt, kraftvoll genug, ihn schief auf seinem Stuhl sitzen zu lassen, stundenlang am Stück unbequem verdreht.
Die Aussicht ist unendlich erfüllend. Sie ist wie die Antwort auf lebenslange Fragen und vage Begierden. Sie befriedigtjegliche kindliche Neugier, jedes erstickte Begehren, alles, was in ihm steckt von einem Wissenschaftler, Dichter, urtümlichen Seher, Beobachter von Feuer und Sternschnuppen, jegliche
Weitere Kostenlose Bücher