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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Obsession, die an der Nachtseite seines Geistes nagen mag, jegliches süße und träumerische Sehnen, das er einmal für namenlose Orte in der Ferne empfunden haben mag, all den Erdensinn, den er besitzt, den Nervenpuls irgendeiner wilderen Bewusstheit, ein Mitgefühl für Tiere, jeglichen Glauben an eine innere Lebenskraft, den Herrn der Schöpfung, jegliches insgeheime Hätscheln des Gedankens vom menschlichen Einssein, jegliches Wunschdenken und jegliche schlichtherzige Hoffnung, all das Zuviel und das Nicht-genug, alles auf einmal und Schritt für Schritt, jegliches brennende Drängen, der Verantwortung und Routine zu entkommen, seiner eigenen Überspezialisierung zu entkommen, dem abgegrenzten Ich, einer Spirale nach innen, jegliche Überreste seiner jungenhaften Sehnsucht nach Fliegen, seine Träume von rätselhaften Räumen und unheimlichen Höhen, seine Fantasien von einem glücklichen Tod, jegliche trägen und genusssüchtigen Neigungen – Lotusesser, Raucher von Gräsern und Kräutern, blauäugiger Hans-guck-in-die-Luft –, all diese sind befriedigt, alle versammelt und verdichtet in jenem lebenden Organismus, der Aussicht aus seinem Fenster.
    »Es ist einfach so interessant«, sagt er schließlich. »Die Farben und alles.«
    Die Farben und alles.

TEILZWEI

    Der Läufer (1988)
    Die Akrobatin aus Elfenbein (1988)
    Der Engel Esmeralda (1994)

DERLÄUFER
    Der Läufer nahm die Kurve langsam, den Blick auf die Enten gerichtet, die sich unter der Fußgängerbrücke scharten, wo ein Mädchen Brot verstreute. Der Pfad folgte ungefähr den Umrissen des Weihers, wand sich zwischen Baumgruppen hindurch. Der Läufer lauschte seinem gleichmäßigen Atem. Er war jung und wusste, er konnte noch zulegen, aber er wollte in der Anstrengung nicht das Gefühl der Leichtigkeit verderben, während das Licht dahinschwand und alle Stimmen und Geräusche des Tages hinweggespült wurden vom stetigen Schweiß.
    Verkehr zischte vorbei. Die Kleine bekam Brotbrocken von ihrem Vater und warf sie über das Geländer, mit offen erhobener Hand, als wollte sie eine Fünf anzeigen. Der Läufer zog leichtfüßig über die Brücke. Dreißig Meter vor ihm befanden sich zwei Frauen auf einem Pfad, der zur Straße führte. Eine Taube quicksteppte über die Wiese, als sich der Läufer näherte und in die Kurve legte. Die Sonne stand in den Bäumen jenseits der Parkanlage.
    Er hatte bereits ein Viertel des Pfades an der Westseite des Weihers zurückgelegt, als ein Wagen von der Straße auf die abschüssige Wiese holperte. Eine Brise kam auf, und der Läufer hob die Arme, spürte, wie der Wind in das T-Shirt schlüpfte. Ein Mann stieg mit zügigen Bewegungen aus dem Auto. Der Läufer kam an einem alten Paar auf einer Bank vorbei.Sie legten ihre Zeitung zusammen und machten sich bereit zum Aufbruch. An dem nahe gelegenen Ufer fing der Blutweiderich an zu blühen. Er wollte noch vier Runden laufen, bis an den Rand seiner Leistungsfähigkeit. Irgendetwas stimmte nicht da hinten, hinter seiner rechten Schulter, da war etwas auf die nächste Ebene gesprungen. Er sah sich im Laufen um, sah das alte Paar ahnungslos von der Bank aufstehen und dann das Auto auf der Wiese, wo es nicht hingehörte, und eine Frau, die auf einer Decke stand und, die Hände an die Schläfen gepresst, zum Auto blickte. Er wandte sich wieder nach vorn und lief an dem Schild vorbei, auf dem stand, dass der Park zum Sonnenuntergang schloss, obwohl es gar keine Tore gab, keine effektive Möglichkeit, die Leute draußen zu halten. Die Schließung fand strikt im Geist statt.
    Das Auto war alt und beschädigt, der rechte hintere Kotflügel in einer kupfernen Rostschutzfarbe gestrichen, und er hörte Stakkatoknattern aus dem Auspuff, als es wegfuhr.
    Er umrundete das Südende und betrachtete zwei Jungen auf Fahrrädern, vielleicht war ihren Gesichtern zu entnehmen, was gerade passierte. Sie fuhren an ihm vorbei, links und rechts, Musik drang aus den Kopfhörern, die einer von ihnen trug. Er sah das Mädchen und den Vater am Ende der Fußgängerbrücke. Ein Lichtstreifen, wie gemalt, strich über das Wasser. Er sah, dass sich die Frau auf der abschüssigen Wiese jetzt in die andere Richtung drehte und durch die Parkanlage spähte, drei oder vier andere Leute taten es ihr nach, wiederum andere führten einfach ihre Hunde aus. Er sah Autos auf den Fahrspuren Richtung Norden vorbeiziehen.
    Die Frau war eine kleine, stämmige Gestalt, die an ihrer Deckezu kleben schien. Sie rief den

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