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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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zusehen musste. Wie sollte sie mit so etwas rechnen? Ich fühlte mich so schwach und merkwürdig. Ich sah Sie herankommen und sagte mir, ich muss mit jemandem reden. Ich weiß, dass ich nur wirres Zeug geredet habe.«
    »Sie hatten alles im Griff.«
    »Ich hab hier gesessen und gedacht, die einzelnen Elemente sind gar keine Frage. Das Auto, der Mann, die Mutter, das Kind. Das sind die Einzelteile. Aber wie passen die Teile zusammen? Denn jetzt, wo ich etwas Zeit zum Nachdenken hatte, finde ich keine Erklärung. Ein Loch hat sich in der Luft aufgetan. Ungefähr so sinnvoll ist das. Die Chancen, dass ich heute Nacht ein Auge zutue, stehen nicht mal eins zu tausend. Es war alles zu grässlich, zu heftig.«
    »Sie hat den Mann identifiziert. Er war definitiv der Vater. Sie hat der Polizei alle Informationen gegeben. Sie haben das Ganze so ziemlich komplett richtig eingeschätzt.«
    Siewarf ihm einen aufmerksamen Blick zu. Er wurde plötzlich befangen, als ihm klar wurde, wie er dastand, stinkend und keuchend, comicstriphaft in orangen Shorts und einem zerschlissenen, verblassten Top, und auf einmal fühlte er sich wie von der Szene abgespalten, als beobachtete er alles von einem verborgenen Ort aus. Sie trug ihr seltsames schmerzliches Lächeln zur Schau. Er wich etwas zurück und beugte sich dann vor, um ihr die Hand zu schütteln. Und so wünschten sie einander »Guten Abend«.
    Er betrat die weiße Eingangshalle. Das Echo des Laufs summte in seinem Körper. Er stand da und wartete in einem Dunst aus Erschöpfung und Durst. Der Fahrstuhl kam, die Tür glitt auf. Er fuhr allein nach oben, durch das Herz des Gebäudes.

DIEAKROBATIN AUS ELFENBEIN
    Als es vorüber war, stand sie auf der belebten Straße und lauschte dem kompakten Gemurmel all der redenden Leute. Sie hörte das erste ferne Tuten von Autohupen auf dem Boulevard. Die Menschen musterten einander, um ihre Reaktionen abzustimmen. Sie beobachtete, wie sie die Straße nach Gesichtern absuchten, nach Zeichen, dass Soundso in Sicherheit war. Ihr wurde bewusst, dass die Straßenlaternen brannten, und sie versuchte sich daran zu erinnern, wie lange ihre Wohnung dunkel gewesen war. Alle redeten. Sie hörte dieselben Sätze, immer wieder, und stand mit verschränkten Armen da, während eine Frau einen Stuhl an einen geeigneten Ort trug. Der Klang der Hupen schwebte in den Straßen. Menschen verließen die Stadt in sternförmigen Strömen. Sie dachte schon voraus zum nächsten Mal. Angeblich gibt es immer ein nächstes Mal, möglicherweise sogar viele.
    Die Kartenspieler standen draußen vor dem Café, einige inspizierten ein Stück heruntergefallenes Mauerwerk auf dem Bürgersteig, andere spähten zum Dach hinauf. Hier und da ragte ein Gesicht heraus, ein Körper wandte sich langsam um, suchend. Sie trug, was sie getragen hatte, als es anfing, Jeans und Hemd und Pulli, dabei war es Nacht und Winter, und komisch aussehende Mokassins, die sie nur drinnen anzog. Die Hupen wurden lauter, eine Art Aufschrei, animalische Furcht. Der Gott der Panik ist schließlich einGrieche. Sie dachte noch einmal darüber nach und war nicht mehr sicher, dass das Licht überhaupt ausgefallen war. Frauen standen mit verschränkten Armen in der Kälte. Sie lief in der Mitte der Straße, lauschte den Stimmen, übersetzte sich einzelne Sätze. Es war bei allen dasselbe. Sie sagten dieselben Dinge und suchten nach Gesichtern. Die Straßen waren hier eng, Leute saßen in parkenden Autos und rauchten. Hier und dort ein rennendes, sich durch die Menge schubsendes Kind, aufgeregte Kinder, die fast bis Mitternacht draußen waren. Sie dachte, es gebe vielleicht ein Leuchten am Himmel, und erklomm eine breite Stufenstraße, die einen Aussichtspunkt zum Golf hin bot. Ihr war so, als hätte sie mal gelesen, dass es ein Licht am Himmel geben konnte, bevor oder kurz nachdem es passierte. Das lief unter der Rubrik unerklärlich.
    Einige Zeit später gingen die Leute allmählich wieder hinein. Kyle lief drei Stunden lang weiter. Sie sah den Autos zu, wie sie sich auf die Hauptverkehrsachsen schoben, die zu den Bergen und zur Küste führten. In bestimmten Vierteln blieben die Ampeln dunkel. Die langen, verknoteten und abgeknickten Autoreihen konnten kaum Land gewinnen. Lähmung. Die Szene erinnerte sie an eine Landschaft aus unseren Traumwelten, die die Stadt uns fürchten lehrt. Die Fahrer drückten auf die Hupen. Der Lärm breitete sich durch die Straßen aus und wurde zu einer endgültigen

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