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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Hackenzusammenschlager.«
    »Ehrlich gesagt tun mir die Gelenke sauweh.«
    »Guck dir die Adern auf ihrer Hand und ihrem Arm an.«
    »Ich hab sie billig auf dem Flohmarkt bekommen.«
    »Jetzt geht es mir gleich viel besser.«
    »Das bist absolut du«, sagte er. »Das musst du sein. Sind wir da einer Meinung? Sieh hin und spür nach. Das ist dein magisches, wahres Ich, in Massenproduktion.«
    Kyle lachte.
    »Schlank und biegsam und jung«, sagte er. »Mit einem pulsierenden Innenleben.«
    Sie lachte. Dann läutete die Schulglocke, und sie gingen hinein.
    Siestand mitten im Zimmer, voll bekleidet bis auf die Schuhe, und knöpfte die Bluse zu. Sie pausierte. Sie schob den Knopf durch das Loch. Dann stand sie auf dem Holzboden und lauschte.
    Jetzt hieß es, fünfundzwanzig Tote, Tausende Obdachlose. Manche Leute hatten unbeschädigte Gebäude verlassen, weil ihnen die struppige Sicherheit eines Lebens draußen lieber war. Kyle konnte sich gut vorstellen, wie es so weit kam. Zum ersten Mal schlief sie einigermaßen, mied aber weiterhin Fahrstühle und Kinos. Der Wind schubste herumliegende Gegenstände von den rückseitigen Balkonen. Sie lauschte und wartete. Sie stellte sich ihre Flucht aus dem Zimmer vor.
    Schwefel fiel aus dem Industriehimmel, befleckte das Pflaster, und ein Lehrer an der Schule sagte, das sei Sand, der von einem jener wunderbaren Wüstenwinde aus Libyen gen Norden geblasen worden sei.
    Sie saß in Pyjama und Socken auf dem Sofa und las ein Buch über die örtliche Flora. Eine Decke lag auf ihren Beinen. Auf dem Beistelltisch stand ein halb volles Glas Wasser. Ihr Blick schweifte ab. Es war zwei Minuten vor Mitternacht. Sie pausierte und starrte ins Leere. Dann hörte sie es kommen, ein Erdröhren, eine Kraft, die sich auf der Luft voranbewegte. Sie verharrte eine lange Sekunde, tief in Gedanken, bevor sie die Decke wegriss. Der Augenblick explodierte um sie herum. Sie raste zur Tür und riss sie auf, registrierte dabei am Rande klappernde Lampenschirme und irgendetwas Feuchtes. Sie klammerte sich an den Türrahmen und schaute ins Zimmer. Die Dinge hüpften auf und nieder. Sie bildete den kategorischen Gedanken, Das ist das Größte bislang . Das Zimmer verschwamm mehr oder weniger. Sie bekam ein Gefühl, als stünde es kurz davor zu zersplittern. Diesmal spürte siedie Wirkung auf ihre Beine, etwas Aushöhlendes, ein weiches Nachgeben gegenüber einer Krankheit. Es war kaum zu glauben, kaum zu glauben, dass es so lang anhielt. Sie presste die Hände gegen den Türrahmen und suchte nach Ruhe in ihrem Inneren. Sie konnte ihren Geist fast als Bild vor sich sehen, ein undeutliches graues Oval, das über dem Zimmer schwebte. Die Erschütterungen wollten nicht aufhören. Es lag eine Wut darin, ein hämmerndes Fordern. Ihr Gesicht war zerknautscht wie das eines angestrengten Gewichthebers. Nicht leicht zu sagen, was gerade um sie herum geschah. Sie konnte die Dinge nicht in normaler Weise sehen. Nur sich selbst, mit ihrer leuchtenden Haut, wie sie darauf wartete, dass das Zimmer über ihr zusammenbrach.
    Dann hörte es auf, und sie zog ein paar Kleidungsstücke über ihren Schlafanzug und ging die Treppe hinunter. Sie beeilte sich. Sie rannte durch die kleine Eingangshalle und schob sich an einem Mann vorbei, der sich an der Tür gerade eine Zigarette anzündete. Menschen kamen auf die Straße. Sie lief einen halben Block weit und blieb am Rand einer großen Gruppe stehen. Sie keuchte, und ihre Arme hingen schlaff herunter. Ihr erster klarer Gedanke war, dass sie früher oder später wieder hineingehen musste. Sie lauschte den Stimmen, die ringsum niedergingen. Sie wollte hören, dass es irgendjemand sagte, genau das, dass eine Grausamkeit in der Zeit existierte, dass sie alle schutzlos dem Strom der Zeit ausgeliefert waren. Sie sagte zu einer Frau, sie glaube, in ihrer Wohnung sei ein Rohr gebrochen, und die Frau schloss die Augen und wiegte ihren schweren Kopf. Wann wird das alles aufhören? Sie sagte zu der Frau, sie habe vergessen, auf dem Weg nach draußen ihre Stofftasche mitzunehmen, obwohl sie tagelang sorgfältig alles geplant habe, und sie versuchte, derGeschichte einen kleinlauten Unterton zu verleihen, sie witzig und etwas selbstironisch klingen zu lassen. Es muss doch etwas Witziges geben, woran wir uns festhalten können. Sie standen da und wiegten die Köpfe.
    Die ganze Straße rauf und runter steckten die Leute sich Zigaretten an. Das erste Beben war acht Tage her, acht Tage und eine

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