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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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Norwegisch, das war eine andere Frage. Ich hätte Rotahorn sagen können oder Zuckerahorn, aber Norwegisch klang stärker, informierter.
    Wir spielten beide Schach. Wir glaubten beide an Gott.
    Die Häuser hier standen näher an der Straße, und wir sahen eine Frau mittleren Alters, die aus ihrem Auto stieg, einen Kinderwagen vom Rücksitz nahm und auseinanderklappte. Dann holte sie vier Einkaufstüten aus dem Auto, eine nach der anderen, und legte sie alle in den Kinderwagen. Wir redeten und sahen zu. Wir redeten über Epidemien, Pandemien und Seuchen, aber wir beobachteten die Frau. Sie schloss die Autotür und zog den Kinderwagen rückwärts über den festgetretenen Schnee auf dem Bürgersteig und die lang gezogene Treppe zu ihrer Veranda hoch.
    »Wie heißt sie?«
    »Isabel«, sagte ich.
    »Jetzt mal ernsthaft. Wir sind doch ernsthafte Leute. Wie heißt sie?«
    »Okay, wie heißt sie?«
    »Sie heißt Mary Frances. Hör zu«, flüsterte er. » Ma-ry Fran-ces . Nie bloß Mary.«
    »Okay,vielleicht.«
    »Wo zum Teufel hast du Isabel her?«
    Er tat besorgt, legte mir eine Hand auf die Schulter.
    »Ich weiß es nicht. Isabel ist ihre Schwester. Sie sind eineiige Zwillinge. Isabel ist die Alkoholikerin von beiden. Aber du übersiehst die zentralen Fragen.«
    »Gar nicht. Wo ist das Baby, das zu dem Kinderwagen gehört? Wessen Baby ist es?«, sagte er. »Wie heißt das Baby?«
    Wir nahmen eine Straße, die aus der Stadt hinausführte, und hörten Flugzeuge von der Militärbasis. Ich drehte mich um und sah nach oben, da waren sie und schon wieder weg, drei Düsenjäger, die gen Osten fegten, und dann sah ich den Mann mit der Kapuze hundert Meter entfernt, er kam über die Kuppe einer steilen Straße auf uns zu.
    Ich sagte: »Guck jetzt nicht.«
    Todd drehte sich um und guckte. Ich überredete ihn, die Straße zu überqueren, um etwas Abstand zu dem Mann zu bekommen. Wir beobachteten ihn von einer Einfahrt aus, wo wir unter einem verwitterten Basketballkorb standen, dessen Brett an dem Firstbalken über dem Garagentor befestigt war. Ein Pick-up fuhr vorbei, und der Mann blieb kurz stehen, dann ging er weiter.
    »Siehst du die Jacke. Keine Knebelverschlüsse«, sagte ich.
    »Weil es ein Anorak ist.«
    »Es ist ein Parka – war es immer. Schwer zu sagen von hier aus, aber ich glaube, er hat sich rasiert. Oder jemand hat ihn rasiert. Der, mit dem er zusammenwohnt, wer immer das ist. Ein Sohn oder eine Tochter, Enkel.«
    Er befand sich jetzt direkt gegenüber von uns, auf der anderen Straßenseite, und ging vorsichtig, um die Stellen zu meiden, wo der Schnee noch nicht geräumt war.
    »Erist nicht von hier«, sagte Todd. »Er stammt irgendwo aus Europa. Sie haben ihn hergebracht. Er konnte sich nicht mehr allein versorgen. Seine Frau ist gestorben. Sie wollten bleiben, wo sie waren, die beiden Alten. Aber dann ist sie gestorben.«
    Todd sprach distanziert, er beobachtete den Mann, aber sprach durch ihn hindurch, fand seinen Schatten irgendwo auf der anderen Seite der Welt. Der Mann sah uns nicht, da war ich mir ganz sicher. Er erreichte die Ecke, eine Hand auf dem Rücken, während die andere kleine Gesten wie im Gespräch vollführte, dann bog er in die nächste Straße ein und war weg.
    »Hast du seine Schuhe gesehen?«
    »Das waren keine Stiefel.«
    »Es waren Schuhe, die über den Knöchel reichten.«
    »Hohe Schuhe.«
    »Alte Welt.«
    »Keine Handschuhe.«
    »Die Jacke über Knielänge.«
    »Möglicherweise gar nicht seine.«
    »Aufgetragen oder abgetragen.«
    »Überleg mal, welche Kopfbedeckung er tragen würde, wenn er eine Kopfbedeckung tragen würde«, sagte ich.
    »Er trägt keine Kopfbedeckung.«
    »Aber wenn er eine tragen würde, was für eine?«
    »Er trägt eine Kapuze.«
    »Aber was für eine Kopfbedeckung, wenn er eine tragen würde?«
    »Er trägt eine Kapuze«, sagte Todd.
    Wir gingen jetzt bis an die Ecke und setzten dazu an, die Straße zu überqueren. Er sprach, kurz bevor ich es tat.
    »Esgibt nur eine Art Kopfbedeckung, die für ihn vorstellbar ist. Eine Mütze mit einer Ohrenklappe, die von einem Ohr um den Hinterkopf bis zum anderen Ohr reicht. Eine alte schmutzige Mütze. Eine Schirmmütze mit einer Ohrenklappe.«
    Ich sagte nichts. Dazu hatte ich nichts zu sagen.
    Der Mann war nirgends auf der Straße zu sehen, in die er eingebogen war. Ein paar Sekunden lang schwebte eine geheimnisvolle Aura über der Szene. Doch sein Verschwinden bedeutete nur, dass er in einem der Häuser dieser Straße

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