Der Engel mit den Eisaugen
höheren Ebene fußte. So sicher war er sich seiner Sache, dass er felsenfest glaubte, die Analysen müssten seine Erwartungen bestätigen.
Diese seine »Wahrheit« von dem Ritus in der Halloween-Nacht, satanischen Sekten und Opferkulten machte er wenige Tage später publik und präsentierte dann dem Richter des Zwischenverfahrens die Ergebnisse seiner Ermittlungen. Kein außenstehender Beobachter hat je verstanden, woher er seine Gewissheit nahm. Von der Untersuchung des Tatorts jedenfalls nicht, so viel ist sicher.
In diesen Tagen schrieb die »erleuchtete« Gabriella Carlizzi, Migninis Zeugin mit der direkten Verbindung zum Himmel, in ihrem Blog, »ihr Giuliano« könne auf keinen Fall den tatsächlichen Hintergrund seiner Ermittlungen enthüllen, denn man würde ihm nicht glauben, und dann wäre die gesamte Ermittlung in Gefahr.
»Gebt acht«, fügte sie noch hinzu, »ihr könntet euch hinsichtlich des Motivs für den Mord an der Kercher täuschen und feststellen, dass das dargebotene Menschenopfer in enger Verbindung mit dem Fall Narducci und dem Monster von Florenz steht …«
Doch kein Schwefelgeruch hing über dem Tatort oder über der großen Blutlache neben Merediths Leiche, es fanden sich keine seltsamen Spuren okkulter Symbole, keine Gegenstände, die an irgendeinen satanischen Kult erinnert hätten, und auch keine Hufabdrücke, sondern nur die von Männersportschuhen der Marke Nike mit konzentrischen Kreisen auf der Sohle.
Selbst wenn sich in dem Appartement DNA -Spuren von Amanda befunden hätten, hätte dies für die Anklage keine Rolle spielen dürfen, denn die junge Frau wohnte schließlich dort. Um sie zweckdienlich auf den Tatort zu zerren, bedurfte es eines eindeutigen Beweises dafür, dass ihr Freund Raffaele Sollecito vor Ort gewesen war, als der Mord begangen wurde. Da es nun keinerlei DNA -Spuren gab, musste unter allen Umständen bewiesen werden, dass der blutige Schuhabdruck nur von ihm stammen konnte. Also wurde ein Paar Schuhe, das man im Haus des Studenten entdeckt hatte, für kompatibel erklärt.
»Kompatibel« ist ein Ausdruck, der aus den Gutachten, die doch so wissenschaftlich daherkommen wollen, verbannt werden sollte, denn er bedeutet einfach nur »kann sein, kann aber auch nicht sein«. Im Endeffekt heißt »kompatibel« nichts anderes als »nach Gutdünken der Anklage«.
Als die Gutachter abwägen sollten, ob es sich bei dem Küchenmesser, das Inspektor Armando Finzi in Sollecitos Wohnung gefunden hatte, um die Tatwaffe handelte, gelang es den Gutachtern, einen noch vageren, noch weniger wissenschaftlichen Ausdruck zu benutzen: »nicht inkompatibel«.
Es war das erste Messer, das der Inspektor in die Hand genommen hatte. »Ein Glückstreffer«, kommentierte Staatsanwalt Mignini.
Die Anklage plazierte das »diabolische Paar« Amanda und Raffaele also auf der Bühne des Verbrechens – und dies nur aufgrund des Nike-Abdrucks in Merediths Blut, der auf den ersten Blick mit Raffaeles Schuhen »kompatibel« zu sein schien, technisch jedoch nie abgeglichen worden war.
Und dann war da natürlich noch »das Geständnis« am Ende einer Befragung, die ohne Anwalt und ohne Dolmetscher durchgeführt worden war und von der keine Aufzeichnung existierte. In dieser Befragung hatte die junge Frau aus Seattle den Kongolesen Lumumba in den blutigen, satanischen Ritus verwickelt, nachdem sie ihn am Nachmittag zuvor via SMS mit einem »See you later«, einem »Auf Wiedersehen«, gegrüßt hatte, das die Polizei aus Perugia als ein »Wir sehen uns später« interpretiert hatte.
Mignini hielt diese Elemente für ausreichend, um der Öffentlichkeit nun also seine Wahrheit zu präsentieren. Am 6 . November, gerade mal vier Tage nach dem Mord, ließ er seine Schuldigen – Amanda Knox, deren Freund Raffaele Sollecito und den Musiker Patrick Lumumba, den eigentlichen Urheber des Verbrechens – an den Kamera- und Foto-Objektiven vorbeidefilieren.
Sofort schrieb Carlo Bonini in
La Repubblica:
»Was also ist in der Nacht vom 1 . auf den 2 . November zwischen zwölf und drei Uhr geschehen? Amanda Marie Knox schildert den Tod Meredith Kerchers folgendermaßen: ›Wir wollten uns an jenem Abend ein bisschen amüsieren.‹ ›Wir‹, das wären sie selbst, ihr Freund Raffaele Sollecito und der Kongolese Patrick Diya Lumumba. ›Wir hatten sie auch dazu eingeladen.‹ ›Diya wollte sie.‹ ›Ich bin mit Raffaele in ein anderes Zimmer gegangen. Dann habe ich Schreie gehört …‹ Indem Amanda
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