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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Pergola Nummer sieben ansässig war. Dort trafen die beiden Beamten Amanda und Raffaele an, die wartend vor dem Häuschen standen.
    »Verdächtige«, dachten die Polizisten sofort – warum, weiß keiner. Vielleicht, so erklärten sie später, habe die Tatsache, dass die jungen Leute flüsterten, ihre Aufmerksamkeit erregt. Raffaele begriff schließlich, dass dies nicht die Carabinieri waren, auf die er und Amanda gewartet hatten, und erklärte, sie hätten gerade die 112 gewählt und demnächst würde eine Streife eintreffen. Daraufhin vermuteten die Beamten, der Anruf sei nach ihrer Ankunft getätigt worden, um den beiden ein Alibi zu verschaffen und so ihre Anwesenheit zu rechtfertigen. Das zumindest behaupteten die Polizisten, nachdem sich herausstellte, dass in dem Häuschen ein Mord begangen worden war. Wenn Amanda also mit ihrem Freund vor dem Haus stand, dann nicht, weil sie dort wohnte, sondern weil – man weiß es ja – der Mörder immer wieder an den Tatort zurückkehrt.
    Er kehrt zurück, weil er befürchtet, Spuren hinterlassen zu haben, die er schnellstmöglich beseitigen will, bevor die Polizei eintrifft. Deswegen also stand dieses »diabolische Paar« dort herum.
    Beweise? Keine. Und kein Polizist oder Carabiniere konnte je bezeugen, gesehen zu haben, wie einer der beiden nach dem Eintreffen der Polizei, also um 12.45  Uhr, einen Anruf getätigt hatte. Die Telefonermittlung der Carabinieri hatte Raffaeles Anruf um 12.40  Uhr registriert, also fünf Minuten vorher, was die Version der Studenten bestätigte. Doch auch das war kein Problem: Als es sehr viel später an der Zeit für eine Zeugenaussage war, zogen die Beamten einfach zehn Minuten von ihrer eigentlichen Ankunftszeit ab.
    Diese an und für sich nebensächliche Einzelheit wurde während des Prozesses zu einem vieldiskutierten Punkt. Aus Sicht der Anklage hatte er seine Funktion hinsichtlich der öffentlichen Meinung erfüllt, und zwar schon seit einiger Zeit und in äußerst effektiver Weise. Die Nachricht der neuen »Lüge« von Amanda und Raffaele wurde sofort an die Zeitungen von Perugia weitergegeben und – wie alles, was die Ermittlungen zum Mordfall Mez betraf – auch an nationale und ausländische Zeitungen. Am Anfang entsandte keine dieser Zeitungen einen Korrespondenten für längere Zeit nach Perugia. Auch die Informationen der bedeutendsten amerikanischen Zeitungen stammten in Wirklichkeit von Lokalreportern aus Perugia, von Migninis sogenannten »Freunden«. Die Artikel wurden von den Korrespondenten in Rom oder direkt von den Redaktionen in London, New York, Seattle übersetzt und bei Bedarf noch geringfügig verbessert.
    Die Polizeibeamten wollen also sicher gewesen sein, die Täter ausfindig gemacht zu haben – und das, noch bevor sie den Tatort überhaupt betreten hatten, noch bevor sie auf ein Verbrechen hatten schließen können. Sie waren schon im Bilde, bevor Amanda das Rad geschlagen, den Spagat und andere seltsame »Bewegungen« vollführt hatte. Sie wussten Bescheid, bevor Amanda und Raffaele ihre Pizzen gegessen hatten und bevor Kommissar Giobbi das ganze Arsenal detektivischer Intuition und »kognitiv-komportamentaler« Untersuchungen aufgefahren hatte.
    Dass es sich um einen Mord handelte, erkannten die Beamten an jenem 2 . November gegen 13.00  Uhr, als Filomena mit ihrer Freundin Paola und wenig später Filomenas Freund Luca Altieri mit seinem Kumpel Marco Zaroli in der Via della Pergola eintrafen. Da nichts entwendet worden war – weder Geld noch der Laptop oder Schmuck –, begriffen auch Filomena und ihre Freunde, dass die Erklärung für diesen seltsam rätselhaften Übergriff und die beunruhigenden Blutflecke in Merediths abgesperrtem Zimmer zu finden sein müsse.
    Dieses seltsame Gefühl, sich in einem Haus zu befinden, das ins Visier eines Einbrechers geraten war, in dem aber nichts gestohlen worden war, regte die jungen Leute noch mehr auf. Und in genau diesem Moment machte Inspektor Battistelli einen Witz, den wohl unglücklichsten der Geschichte: »Beruhigt euch … Schließlich haben wir noch keine Leiche unter dem Sofa gefunden.«
    Für ihn lag des Rätsels Lösung in dem kaputten Fenster. Battistelli, der sich für gewöhnlich nur mit telematischen Untersuchungen befasste, würde später sagen, ihm sei vom ersten Moment an klar gewesen, dass es sich um eine Inszenierung handelte, mit der die Ermittler in die Irre geführt werden sollten. Nicht alle Glasscherben befanden sich im
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