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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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darauffolgenden Tag ins Polizeipräsidium, um Anzeige zu erstatten. Man ließ ihn so lange warten, bis er schließlich dachte, dass sich eine Anzeige im Grunde doch nicht lohne. Immerhin hatte der Einbrecher nichts gestohlen. Und abgesehen von dessen Hautfarbe hätte Cristian auch keine weiteren Angaben machen können. Also ging er wieder.
    Dann, als der Fall Kercher bekannt wurde und neben Patrick Lumumba auch das Foto eines anderen Farbigen in den Zeitungen auftauchte, der von der Polizei und den Journalisten als »der vierte Mann« bei dem Verbrechen in der Via della Pergola bezeichnet wurde, erkannte ihn Cristian Tramantano wieder. Es war der Einbrecher, der in sein Mini-Appartement eingedrungen war, nachdem er zuvor das Fenster mit einem Stein eingeschlagen hatte. Wieder ging er ins Polizeipräsidium, berichtete von den Vorkommnissen und wusste endlich, wer bei ihm eingebrochen hatte: Rudy Hermann Guedé, 22  Jahre alt, an der Elfenbeinküste geboren und seit seinem fünften Lebensjahr in Perugia. Momentan lebte er in einem Haus in der Via del Canerino.
    Es hätte sich problemlos nachweisen lassen, dass er der Einzige war, der sich in Merediths Zimmer aufgehalten hatte, als sie erstochen wurde – wenn, ja wenn Mignini und die Polizeibeamten die Ergebnisse der forensischen Gutachten abgewartet hätten, statt Amanda, Raffaele und dann auch noch Lumumba zu verhaften. Auf der Basis einer kognitiv-komportamentalen Untersuchung und nicht nachweisbarer »Geständnisse«.
    Nur Rudy kam als Mörder in Frage, denn die wissenschaftlichen Analysen ergaben, dass er es war, der seine blutbesudelten Hände an der weißen Wand in Merediths Zimmer abgewischt hatte. Er und nicht Raffaele war in Merediths Blut herumgetrampelt, so dass dort wie ein Stempel das Profil seiner Nike-Sohlen zurückgeblieben war. Er war es, der auf dem kleinen Teppich in Merediths und Amandas Badezimmer den Abdruck seines nackten, blutigen Fußes hinterlassen hatte. Er war es, der seine Fäkalien nicht hinuntergespült hatte. Kurzum, er war es, der im ganzen Haus seinen genetischen Fingerabdruck hinterlassen hatte. Rudys DNA  – und zwar nur seine – war in dem Zimmer gefunden worden, in dem der Mord geschehen war. Und Rudy konnte nicht nachweisen, dass er nicht im Haus war, als Meredith die Kehle durchgeschnitten wurde – in jener Nacht, in der das Fenster zu ihrem Haus mit einem Stein eingeschlagen worden war, genau wie das Fenster von Cristian, dem Barkeeper des
Merlin.
    Als man ihn nach einem Fluchtversuch in Deutschland geschnappt hatte, wurde er zum x-ten Mal verhört. Wieder fragte man ihn, was sich in der Nacht des Verbrechens in Merediths Haus zugetragen habe. Rudy leugnete weiterhin hartnäckig, der Mörder zu sein, und führte dabei ausgerechnet jene Episode ins Feld, die sich bei Cristian Tramantano abgespielt hatte. Allerdings erfand er eine völlig neue Version, in der er selbst nur als Zeuge auftrat.
    Seine Geschichte lautete folgendermaßen: Er sei an diesem Abend bei Meredith eingeladen gewesen. Während er im Bad einem unaufschiebbaren körperlichen Bedürfnis nachgegeben habe, habe er die Engländerin furchtbar schreien hören. Mit noch heruntergelassenen Hosen sei er zu ihr gerannt, um zu sehen, was los sei. Er habe dem Mörder gegenübergestanden, der sich gerade anschickte, Hals über Kopf aus dem Haus zu flüchten. Er, Rudy, habe sich ihm in den Weg gestellt. Um seine Geschichte glaubhafter zu machen, beschrieb er die Szene, die sich bei Cristian Tramantano abgespielt hatte, allerdings mit vertauschten Rollen. In seiner Version war er es, der den Stuhl packte und den Unbekannten zu attackieren versuchte, der ein Messer in der Hand hielt. Diese Vermischung von Wahrheit und Lüge deutete auf einen notorischen Lügner hin, und auch Rudys Adoptivvater sah sich genötigt, ihn als solchen zu beschreiben.
    Nach dem versuchten Einbruch bei Cristian Tramantano waren erst zwei Wochen vergangen, als in Perugia am 13 . Oktober erneut ein Fenster mit einem Stein eingeschlagen wurde. Das Fenster der beiden Anwälte Paolo Brocchi und Luigi Palazzoli in der Via del Lupo. Diese ist eine schmale, mittelalterliche Seitengasse der Via del Roscetto, in die nie ein Sonnenstrahl dringt und die nur ein paar Meter von Rudy Guedés Wohnung entfernt liegt. Der Einbrecher ließ einen Laptop und ein Handy mitgehen. Der Diebstahl wurde erst am darauffolgenden Morgen entdeckt.
    Zum damaligen Zeitpunkt konnten Polizei und Staatsanwaltschaft in Perugia

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