Der Engel mit den Eisaugen
Sfarzo genau wusste, in der Molise aufhielt – in einer solchen Situation nie zur Polizei gegangen wäre, sondern bei ihm angerufen hätte.
»Ah, verstehe«, erwiderte er. »Könnten Sie sie mir mal geben?«
Der überrumpelte Polizist wusste nicht, was er antworten sollte. Er murmelte irgendetwas Unverständliches, dann sagte er hastig: »Tut mir leid, wir müssen das Gespräch beenden«, und legte auf.
Frank begriff, dass ein Krieg ausgebrochen war und die Tätlichkeiten und Beschimpfungen zu einer Guerillataktik gehörten, die nun nicht länger angewandt würde, da sie nicht das erhoffte Resultat gebracht hatte: ihn zu einer Schließung seines Blogs zu bewegen oder ihn wenigstens dazu zu bringen, einen anderen Ton anzuschlagen. Sfarzo erwartete einen direkten Angriff und beschloss, möglichst viel von seinem Material auszulagern. Er raffte CDs, Schriftstücke, Dokumente und seinen Laptop zusammen, verstaute alles in einer Umhängetasche und verließ das Haus, um sie an einem Ort zu verstecken, den diese Typen nicht kannten.
Für einen kurzen Moment kamen ihm vielleicht auch Zweifel, er mag sich gefragt haben, ob er nicht übertrieb und schon ein wenig paranoid geworden war. So etwas geschah doch nur in Filmen – und in der Realität höchstens in Russland.
Als es um halb fünf an seiner Tür klopfte und Frank öffnete, begriff er, dass sich Perugia in gewisser Hinsicht nicht allzu sehr von Putins Moskau unterschied. Auf dem Treppenabsatz standen zwei ihm unbekannte Polizisten in Uniform. Der eine, der wie der Chef aussah, hätte ohne weiteres ein Freizeit-Wrestler sein können.
Sie hatten keinerlei Vollmacht, und als Frank nach ihren Namen fragte, antwortete der Chef ironisch »Pinco Pallino«. Der andere stellte sich mit »Ceppitelli« vor, doch wie sich herausstellte, hieß er in Wirklichkeit Galigani.
Frank betrachtete das Gespräch als beendet, er verabschiedete sich von den beiden und wollte gerade die Tür schließen. In diesem Moment tauchten drei weitere Polizisten auf, die sich offensichtlich im Treppenhaus versteckt und alles mit angehört hatten.
Sie sagten nichts, und Frank blieb auch keine Zeit, Fragen zu stellen. Die drei stürzten sich auf ihn, warfen ihn zu Boden und rammten ihm die Knie in Brust und Bauch. Frank bekam keine Luft und konnte nur noch denken: »Jetzt sterbe ich.« Einer der anderen Polizisten betrat, ohne sich um ihn zu kümmern, die Wohnung, nahm Franks Handy an sich und sammelte alles ein, was mit
perugia-shock
zu tun hatte.
Frank konnte keine Freude darüber empfinden, dass er seinen Computer und die wichtigsten Unterlagen in Sicherheit gebracht hatte. Er hatte gar keine Möglichkeit dazu. Den drei Typen reichte es nicht, dass er sich nicht rühren konnte, sie mussten ihm auch noch möglichst große Schmerzen zufügen. Sie wollten ihn umbringen, davon war Sfarzo plötzlich überzeugt.
Eine Nachbarin erschien auf der Treppe und stieß beim Anblick der Szene einen Schrei aus. Die Beamten lockerten ihren Griff gerade genug, dass Frank rufen konnte: »Hilfe! Die wollen mich umbringen! Rufen Sie die Carabinieri!«
Die unfreiwillige Zeugin hatte Frank wahrscheinlich vor dem Schlimmsten bewahrt. Nachdem die Frau sie gesehen hatte, konnten die Polizisten nicht mit »ihrer Arbeit« fortfahren. Später glaubte Frank zu begreifen, weshalb man versucht hatte, ihn aufs Revier zu locken: Dort hätte es keine Zeugen gegeben.
Der Angriff war noch nicht vorbei. Ein hagerer Beamter, der ihn bislang nicht angerührt hatte, sah aus, als wäre ihm schlecht und als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Mit leiser Stimme bat er seine Kollegen, sie sollten Sfarzo nicht noch weiter drangsalieren.
Die drei standen auf, allerdings nicht, weil ihr schmächtiger Kollege sie überzeugt hätte. Einer von ihnen zog ein Paar Handschellen aus der Tasche und schloss Franks Handgelenke auf dem Rücken zusammen. Die Folter begann von neuem: Die Polizisten drückten Franks gefesselte Arme nach oben, bis sie fast brachen. Als er einen gellenden Schmerzensschrei ausstieß, ließen sie von ihm ab.
Sie zwangen ihn, sich aufzurichten und mit den Händen unter den Achseln die drei Stockwerke hinunter bis zum Eingangstor zu laufen, vor dem zwei blau-weiße Streifenwagen warteten. Unsanft schubsten sie Frank auf den Rücksitz, zwei Beamte nahmen rechts und links von ihm Platz. Mit Blaulicht, Sirene und den obligatorisch quietschenden Reifen fuhren sie los und jagten auch schon mal mit zwei Reifen auf dem
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