Der Engel mit den Eisaugen
Gehsteig in die Kurven.
Frank hatte damit gerechnet, aufs Polizeipräsidium gebracht zu werden, doch zu seiner Überraschung hielten die beiden Autos stattdessen vor dem Krankenhaus Santa Maria della Misericordia.
Es ging nicht darum, ihm Medikamente zu verabreichen oder seinen Gesundheitszustand zu überprüfen. Stattdessen zerrten die Beamten Frank in die psychiatrische Abteilung und sagten der diensthabenden Ärztin, der Typ sei verrückt und müsse zwangseingewiesen werden. Als Beweis für ihre Behauptungen dienten ihnen Unterlagen, die sie in Franks Wohnung beschlagnahmt hatten: ein paar Zettel mit Notizen zum Mordfall Meredith Kercher.
»Der Mann ist auf den Fall des englischen Mädchens fixiert«, sagte ein dickleibiger Polizist. »Er ist verrückt geworden, denkt nur noch daran, die reinste Paranoia.«
Die Ärztin versuchte, Zeit zu gewinnen, um die Situation besser einschätzen zu können. Sie ließ Frank zu Wort kommen und merkte sofort, dass er zusammenhängende Antworten gab und seine Erregung angesichts der Situation nicht übertrieben war. Am Ende erklärte sich die Ärztin außerstande, eine schwere psychische Störung zu diagnostizieren.
Die Polizisten schnappten sich ihren Gefangenen und verfrachteten ihn abermals in den Streifenwagen.
Wieder die eingeschaltete Sirene, die blinkenden Blaulichter auf den Wagendächern und die quietschenden Reifen. Diesmal ging es zum Polizeipräsidium.
Sie zerrten ihn in das Gebäude, führten ihn den anderen Polizisten wie eine Trophäe vor und nannten ihn »diesen Bastard, der Amanda verteidigt«. Vergeblich verlangte Sfarzo, seinen Anwalt oder seine Verwandten anrufen zu dürfen.
Man verhörte ihn nicht und warf ihm auch nichts vor, sondern brachte ihn direkt in den Haftraum – enger noch als jede Gefängniszelle –, mit dem alle Reviere ausgestattet sind. Die Beamten stießen Frank hinein und sperrten ab.
Der Blogger blieb die ganze Nacht dort eingeschlossen. Sein einziger Trost: ein ungenießbares Brötchen. Am darauffolgenden Morgen holte man ihn heraus und brachte ihn ins Gericht, wo er endlich mit einem Anwalt sprechen konnte. Erst da erfuhr er, dass er am Vortag nicht weniger als fünf Polizisten in seiner Wohnung angegriffen und zwei davon verletzt haben sollte, wenn auch nur leicht. Dies war die Anklage, die man sich zurechtgebastelt hatte.
Nun war es ja nicht so, dass Frank keinen Sinn für Ironie gehabt hätte, doch der Gedanke, dass er allein auf fünf Polizisten losgegangen sein sollte, brachte ihn diesmal nicht zum Lachen. Die Verbrechen, für die man ihn bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hatte – Körperverletzung und Widerstand gegen eine Amtsperson –, konnten mehrere Jahre Gefängnis bedeuten.
Als er sich schließlich vor dem Gerichtsgebäude wiederfand – angeschlagen, aber als freier Mann –, brannte sich eine Frage in riesengroßen Lettern in sein Bewusstsein: WAS JETZT ?
Als er sich eine Zigarette angezündet hatte, stand ihm die Antwort klar vor Augen: »Jetzt greifst du wirklich an, jetzt sagst du klar und deutlich, was Sache ist.«
Er lief geradewegs zu seinem Versteck, überzeugte sich, dass ihm niemand gefolgt war oder ihn beobachtete, und holte seine Waffen, den Laptop und die Disketten mit den Dokumenten. Dann ging er nach Hause und startete die erste Attacke.
»Und es gibt noch mehr zu berichten: Die Polizei hat der Verteidigung Tonbänder mit aufgezeichneten Telefonaten zwischen Amanda und Raffaele sowie Raffaele und dessen Vater übergeben, doch wie Anwalt Maori heute mitgeteilt hat, fehlen 29 davon.
Noch ein Missgeschick? Ein weiterer Fehler?
Wetten, dass sich Amanda und Raffaele in diesen Gesprächen versicherten, Meredith Kercher nicht umgebracht zu haben? Oder dass sie irgendetwas sagten, was bewiesen hätte, dass sie nichts mit dem Mord zu tun hatten?«
Es verging kein Tag, an dem Frank seine Online-Geschütze nicht abgefeuert hätte. Dabei ging es nicht um Beschimpfungen und nicht um Klatsch, sondern um präzise Informationen, die er ab und an mit schonungslosen Kommentaren garnierte.
»Raffaele schrieb in seinem Blog, er hätte gerne starke Emotionen empfunden – seine Mutter war gerade gestorben. Richterin Matteini (die zu diesem Zeitpunkt entscheiden musste, ob sie der Inhaftierung von Amanda und Raffaele wirklich stattgeben würde, Anm. d. Verf.) wurde eine auf den 13 . Oktober datierte Kopie übergeben. Matteini musste glauben, Raffaele habe wenige Tage vor dem Mord nach starken Emotionen
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