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Der Engel mit den Eisaugen

Der Engel mit den Eisaugen

Titel: Der Engel mit den Eisaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Douglas & Spezi Preston , Mario Spezi
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Gerichtssaal gerufen worden waren.

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    Kapitel 11
    E r hatte Amandas und Raffaeles Alibi demontiert. Er war der entscheidende Trumpf der Chefankläger. Nach allem, was er der Staatsanwaltschaft erzählt hatte, konnten die beiden »Turteltauben« nicht länger an der Behauptung festhalten, auf die sie sich im Berufungsverfahren noch versteift hatten. Die Behauptung, sie hätten am Abend des Verbrechens bei Raffaele auf dem PC
Die fabelhafte Welt der Amélie
angeschaut, Musik gehört, Sex gehabt, zwei Joints geraucht, geschlafen und dann sogar noch die Flecken beseitigt, die ein leckendes Waschbecken verursacht hatte. Letzteres war natürlich nur vorgeschoben, um den Kauf des Bleichmittels zu rechtfertigen.
    Langer, grauer Bart, eine Art Wollkappe, die ihm bis über die Augen rutschte, unordentliche Jeanskleidung, das nun war Antonio Curatolo, den Frank Sfarzo Totò nannte. Er war der Heroin-Dealer und -Konsument, den man jederzeit auf der Piazza Grimana antraf. Seinem Gedächtnis hatten die Reporter des
Giornale dell’Umbria
mit einem geschenkten Paar alter Schuhe auf die Sprünge geholfen. Immer wieder hatte er bekräftigt, dass er Amanda und Raffaele von seinem Beobachtungsposten aus am Abend des 1 . November zwischen 21.30  Uhr und 23.30  Uhr gesehen habe. Er sei sich seiner Sache ganz sicher, denn er erinnere sich noch genau an die Pendelbusse, welche die jungen Leute von der Piazza Grimana zu einigen Diskotheken gebracht hätten – damit sie sich nicht in ihre Autos setzten und Unfälle verursachten.
    Amandas und Raffaeles Verteidigern gelang es, ein Aufgebot von sieben Zeugen für das Berufungsverfahren zu finden: Diskothekenbetreiber, die Verträge mit einzelnen Busunternehmen geschlossen hatten, die Eigentümer der verschiedenen Verkehrsbetriebe und sogar den Direktor des SIAE von Perugia, des italienischen Autoren- und Verlegerverbandes. Sie alle konnten anhand entsprechender Dokumente nachweisen, dass Totòs Aussagen nichts als Lügen waren: Am Abend des 1 . November hatten die Lokale, die den Shuttle-Service normalerweise organisierten, wegen eines Streiks geschlossen. Demnach war kein einziger Bus zur Piazza Grimana gefahren. Die Anwälte fanden außerdem heraus, dass Curatolo als Zeuge der Staatsanwaltschaft im Dauereinsatz war. Dank seiner Aussagen hatten schon zwei andere Mordfälle in Perugia gelöst werden können. Doch damit nicht genug: In der Zwischenzeit hatte man den Obdachlosen wegen Heroinhandels verklagt. Ein Jahr später sollte Antonio Curatolo zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt werden.
    Trotz der siebenfachen Widerlegung ergriff der stellvertretende Staatsanwalt Giancarlo Costagliola das Wort, um zu erklären, der Zeuge Antonio Curatolo sei »in seinen Berichten präzise« und als »absolut glaubwürdig« einzustufen. Da Totò vor Gericht zugegeben hatte, Heroin zu konsumieren, verteidigte der Staatsanwalt dessen Glaubwürdigkeit mit den Worten: »Heroin ist kein Halluzinogen, demnach handelte es sich bei den Wahrnehmungen des Zeugen um keine Halluzinationen, als er Amanda und Raffaele am Abend des Verbrechens sah.«
    Geradezu surreal hingegen war die Zeugenaussage von Hekuran Kokomani, einem Albaner, der wegen Drogenhandels im Gefängnis saß. Auch er wurde als »Superzeuge« präsentiert. Und obgleich ihn sowohl der für das Zwischenverfahren zuständige Richter als auch das erstinstanzliche Schwurgericht als unglaubwürdig eingestuft hatten, schlug ihn die Anklage im Berufungsverfahren erneut vor.
    Kokomani schwor, Amanda, Raffaele und Rudy vor dem kleinen Landhaus in der Via della Pergola gesehen zu haben. Allerdings wusste er nicht mehr genau, ob es sich um den 31 . Oktober oder den 1 . November gehandelt hatte. Die stundenlange Vernehmung und das äußerst kurze Kreuzverhör durch die Verteidigung förderten eine vollkommen irrationale Story zutage. Laut dem albanischen Superzeugen hatten alle beide, sowohl Sollecito als auch Knox, ein Messer in der Hand gehabt, einfach so, auf der Straße. Um das Ganze auf die Spitze zu treiben, erklärte Kokomani, er habe vor einiger Zeit einen amerikanischen Onkel von Amanda kennengelernt, der ihn überhaupt erst auf seine Nichte und deren Freund aus Apulien aufmerksam gemacht habe. Deshalb wisse er, wer die beiden seien. Abgesehen von der Absurdität dieser Geschichte, war kein Onkel von Amanda je nach Italien gereist.
    Die Zeugenaussage war ein einziges Desaster.
    Schließlich sollte es noch einen dritten Zeugen

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