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Der Engelmacher

Der Engelmacher

Titel: Der Engelmacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Brijs
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sorgen, sodass ihr niemand vorwerfen konnte, sie hätte ihre Kinder sogar in deren letzten Lebensmomenten im Stich gelassen.
    »Möchtet ihr gerne, dass ich hier bleibe?«, hatte sie sicherheitshalber gefragt.
    Sie hatten mit den Schultern gezuckt. Da war sie kurz enttäuscht gewesen. Sie hatte erwartet, dass die Jungen ihr dankbar wären.
    Trotzdem beschloss sie zu bleiben.
    Kurz darauf sagte sie das auch dem Doktor. Sie hatte die Kinder, die in ihren Armen fast eingeschlafen waren, in einem anderen Zimmer zu Bett gebracht und war nach unten gegangen, um etwas zu essen für sie zu suchen. Der Doktor saß in der Küche vor einem Teller Suppe. Dosensuppe. Aus einer der vielen leeren Dosen, die auf der Spüle standen, aus dem überquellenden Mülleimer herausragten und daneben auf dem Boden lagen. Dann fielen ihr die Fliegen auf. Überall krochen und schwirrten Fliegen herum, sogar um den Kopf des Doktors, der sich nicht die Mühe machte, sie zu verscheuchen.
    »Ich will wissen, was genau los ist«, sagte sie, den Müll und die Fliegen ignorierend.
    »Was genau? Was genau wollen Sie wissen?«
    Dass er so gelassen blieb, regte sie sofort wieder auf.
    »Ihre Krankheit. Was haben sie genau?«
    »Die Telomere waren zu kurz.«
    »In normaler Sprache, bitte, in ganz normalen Worten!«
    Daraufhin hatte er ihr alles Mögliche erzählt, aber das Einzige, was sie tatsächlich begriffen hatte, war, dass die Kinder in schnellem Tempo alterten. Dass jedes Jahr ihres Lebens für zehn oder fünfzehn Jahre zählte. Sie wusste nicht, wie sie darauf kam, aber plötzlich war ihr das Bild eines Apfels in den Sinn gekommen, der schon wochenlang in einer Obstschale vor sich hin faulte. Vielleicht wegen des Geruchs, der in der Küche hing.
    Der Doktor betonte, es sei ein unumkehrbarer Vorgang.
    »Wer sagt das? Ist das die Meinung von Spezialisten?«, fragte sie.
    »Zweifeln Sie an mir?« Sein Tonfall klang, als hätte sie ihn gekränkt.
    »Wie können Sie es wagen, so etwas zu fragen?«, rief sie entrüstet aus. »Wie können Sie es wagen, das zu fragen, nach allem, was Sie mir angetan haben?«
    Er reagierte nicht darauf. Und das hatte sie auch kaum erwartet.
    »Ich bleibe«, sagte sie. »Haben Sie das gehört? Ich bleibe! Ich lasse die Kinder nicht mehr allein!« Und weil er noch immer schwieg, ging sie weiter, als sie vorgehabt hatte. »Und ich will nicht, dass die Kinder Sie noch zu Gesicht bekommen. Ich verbiete Ihnen, zu ihnen zu gehen! Sie haben schon genug Böses angerichtet. Hören Sie mich? Sie haben genug Böses angerichtet!«
    Dass sie das gesagt hatte, zu sagen gewagt hatte, war eine Erleichterung. Auch wenn sie nicht wusste, was sie für die Kinder tun konnte oder musste. An seinem Blick sah sie, dass er sprachlos war. Endlich hatte er also begriffen, dass sie diesmal nicht mit sich spaßen lassen würde.
     
    Er fragte sich, warum sie ihn des Bösen beschuldigt hatte. Er hatte doch nur Gutes getan. Er hatte lange darüber nachgedacht, das schon, aber schließlich hatte er getan, was von ihm erwartet wurde. Er hatte den Kindern nichts mehr zu essen gegeben und ihr Schicksal damit in die Hände Gottes gelegt.
    Es war schließlich deutlich, dass Gott sie haben wollte, schon von Anfang an war es deutlich gewesen. Und er hatte es nicht aufhalten können, was immer er auch versucht hatte in all den Jahren. Und seit er Gott die Kinder ausgeliefert hatte, war es an Ihm gewesen zu entscheiden, wann Er ihre Leben nahm. Dass Er es hinauszögerte, statt bei allen dreien auf einmal zuzuschlagen, war Gottes eigene Entscheidung. Das Böse kam also von Ihm. Einzig und allein von Ihm. Dagegen konnte er nichts tun. Warum gab die Frau also ihm die Schuld? War sie vielleicht selbst das Böse?
     
    Kaum hatte der Doktor die Küche verlassen, fing sie an, die leeren Dosen zusammenzuräumen. Sie stopfte alles in Abfallsäcke und stellte diese nach draußen. Dann suchte sie nach frischen Lebensmitteln, aber sie fand hauptsächlich weitere Konservendosen, etwas altes Brot und ein paar Flaschen Milch.
    Sie wärmte etwas Gemüsesuppe auf und ging damit zurück zu den Kindern. Die reagierten leicht erstaunt auf ihr Kommen, als hätten sie schon vergessen, dass sie sie vor einer Stunde aus ihrer schrecklichen Lage befreit hatte. Sie starrten sie mit großen Augen an, während sie sie fütterte, Löffel für Löffel, Mund für Mund. Das Schlucken bereitete den Kindern Mühe, aber sie schienen so hungrig zu sein, dass sie die Nahrung dennoch

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