Der Engelspapst
Hammerfrage gestellt und den Papst, der nicht geantwortet hat, für tot erklärt. In diesem Augenblick ist das Pontifikat nach kirchlichem Recht erloschen. Gardien ist nicht mehr der gewählte Papst.»
«Aber er war nicht tot!», protestierte Alexander.
«Darüber lässt sich streiten. Wenn er im Koma lag, muss man annehmen, dass sein Gehirn gelitten hat, was wiederum für seine Absetzung spricht. Unsere Leute sind im Vatikan, er nicht.
Dieser Umstand stärkt unsere Position. Und wenn wir die Wahre Ähnlichkeit Christi wiederhaben, ist Gardien für die Öffentlichkeit nichts weiter als ein Scharlatan, der sich auf den Heiligen Stuhl geschwindelt hat.» Markus Rosin lehnte sich zurück und fixierte seinen Sohn wie die Schlange das Kaninchen. «Nun, wie entscheidest du dich?»
Die Antwort war schwierig und sie brauchte Zeit. Zögernd sagte Alexander: «Bevor ich mich entscheide, will ich Elena sehen. Sofort!»
« Totus tuus, Domine. Hic iacet pulvis … »
Die monoton wiederholte Formel verschmolz mit dem unaufhörlichen Klatschen der Geißel. Als Markus Rosin und zwei bewaffnete Wächter ihn in die kleine Kapelle führten, rechnete Alexander mit vielem, aber nicht mit diesem erbärmlichen Anblick.
Nackt kniete Elena vor einem großen weißen Totus-Tuus-Kreuz und ließ immer wieder die verknoteten Lederriemen auf ihren Rücken niedergehen. Glasig blickten ihre Augen auf das Kreuz oder in eine Leere dahinter, während sie sich züchtigte und die Bußformel sprach. Sie war so tief in ihre Buße versunken, dass sie Alexander nicht wahrzunehmen schien und selbst dann nicht reagierte, als er sie mehrmals mit ihrem Namen ansprach.
In den vergangenen Tagen musste Elena die Geißelung öfter vollzogen haben. Viele der alten Narben waren aufgeplatzt, neue Striemen hatten sich hinzugesellt. Ihr Rücken war eine einzige Wunde.
Tat sie das freiwillig, war es ihr ein inneres Bedürfnis? Hatte die Gehirnwäsche so schnell gegriffen? Oder musste Elena der hageren Frau gehorchen, die mit unbewegter Miene neben ihr stand und sie beobachtete?
Die Augen in dem strengen Gesicht waren das Einzige, was lebte. In ihnen brannte das Feuer tiefer Befriedigung. Obwohl Alexander die Frau in dem schwarzen Kleid noch nie gesehen hatte, wusste er, dass es Mutter Assunta, ehemalige Oberin des Mädchenhorts zu Gottes großer Gnade, war. Die Vergangenheit hatte Elena eingeholt.
Als er den Anblick des aufgerissenen Rückens, das widerliche Klatschen der Geißel und den süßlichen Blutgeruch nicht länger ertrug, sprang er vor und packte Elenas Arm. Sofort war einer der Wächter bei ihm und riss ihn zurück. Der zweite Wächter zog seine Glock-Automatik und zielte drohend auf Alexanders Brust.
Elena sah ihn für kurze Sekunden an, dann versank ihr Blick wieder in innerer Leere, und sie fuhr mit der Geißelung fort.
«Wenn sie so weitermacht, holt sie sich den Tod!», keuchte Alexander.
«Du kannst es verhindern, es liegt in deiner Hand», erwiderte sein Vater kühl. «Bring uns den Smaragd!»
Alexander schluckte und sagte gequält: «Also gut, ich werde es tun.»
Sosehr er auf die Begegnung mit Elena gedrängt hatte, so erleichtert war er, als sein Vater und die Wachen ihn aus der Kapelle führten. Er wusste selbst nicht mehr, was genau er sich von dem Treffen erhofft hatte. Der Gedanke an die Qualen, die Elena sich zufügte, verdrängte alles andere.
Er hörte nur mit halbem Ohr, wie sein Vater sagte: «Leg dich hin und schlaf, Alexander. Morgen früh wirst du Brecqhou verlassen.»
Wie in Trance ließ er sich in sein Zimmer bringen, wo sie ihn einschlossen. Er schaltete nicht das Licht an, blieb einfach in dem fast dunklen Raum stehen und wartete darauf, dass der Albtraum endete.
Die Gedanken flogen in seinem Kopf hin und her, quälten ihn mit Fragen, auf die er keine Antworten fand.
Die Auserwählten hatten ihm geholfen, nach Brecqhou zu gelangen. Und hier war seine Mission so gründlich gescheitert, dass er, wollte er Elena noch retten, seine Verbündeten verraten musste.
Kein Zweifel, sein Vater hatte das alles seit Tagen geplant.
Schon ab dem Zeitpunkt, als er erfahren hatte, dass die Wahre Ähnlichkeit Christi im Besitz der Auserwählten war. Markus Rosin allein trug die Verantwortung für Elenas Leid. Das war Alexander klar, doch er war zu geschockt, um noch Hass auf seinen Vater zu empfinden.
Er fühlte sich betäubt. Seine Beine begannen zu zittern. Erst jetzt, als er in Gedanken die grausige Szene in der Kapelle wieder
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