Der Engelspapst
vormittägliche Geschäftigkeit von Klerikern, Nonnen und Angestellten des Vatikans, die in beide Richtungen durch das weit geöffnete schmiedeeiserne Tor drängten. Der Adjutant und der Wachtmeister an seiner Seite, beide in der blaugrauen Dienstuniform, hatten mit dem Kontrollieren der Passierscheine gut zu tun, weshalb Alexander seinen von Oberstleutnant von Gunten persönlich unterzeichneten Urlaubsschein schnell zurückerhielt.
Die Fußgängerampel am Zebrastreifen sprang auf einen grünen Pfeil um, und ein Verkehrspolizist stoppte mit gebieterischer Geste den Autoverkehr auf der stark befahrenen Via di Porta Angelica. Alexander nutzte die dreifache Sicherung, die angesichts römischer Verkehrssitten mehr als angebracht war, und ging über den Zebrastreifen zum Beginn des Borgo Pio, wo Elenas kleiner Fiat in Ermangelung eines legalen Parkplatzes zwischen einer Bar und einem kleinen Lebensmittelgeschäft auf dem Bürgersteig stand.
Elena kam mit einer randvollen Papiertüte, aus der Bananen und Äpfel lugten, aus dem Laden und drückte sie Alexander in die Hände.
«Unsere Verpflegung», sagte sie lächelnd und schloss den Wagen auf. «Ich freue mich schon auf das Picknick.»
Sie sagte das, als ginge es zu einer harmlosen Spazierfahrt hinauf in die Albaner Berge. Doch Alexander hatte sie angerufen, weil er Heinrich Rosins Vermächtnis aus dem Versteck holen wollte. Er hatte nicht gedacht, dass es so schnell gehen würde, aber aufgrund seines überraschenden Sonderurlaubs konnten sie heute schon fahren.
«Bist du beurlaubt oder vom Dienst suspendiert?», fragte Elena, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Sie lenkte den Fiat an der hohen mittelalterlichen Schutzmauer, dem Passetto, entlang in Richtung Engelsburg.
«Offiziell habe ich Urlaub, aber der ist mir quasi verordnet worden.»
Noch vor dem Frühstück hatte von Gunten, von der Polizei über die Ereignisse am Albaner See informiert, ihn in die Kommandantur rufen lassen und ihm in ziemlich harschem Ton die Leviten gelesen. Was er sich einbilde, auf eigene Faust Untersuchungen fortzuführen, die der vatikanische Untersuchungsrichter längst abgeschlossen habe? Ob er die Schweizergarde in Verruf bringen wolle? Gerade jetzt, wo die Spekulationen über den neuen Papst schon mehr als genug für Unruhe im Vatikan sorgten! Ob er nicht wisse, dass der Name Rosin einen Gardisten zu besonderer Sorgfalt verpflichte? Ob sein Pflichtgefühl denn nicht stärker sei als der persönliche Schmerz über den Verlust?
Dann war die Stimme des Oberstleutnants unerwartet weich geworden und er hatte ihm einen bis Mittwoch einschließlich geltenden Urlaubsschein überreicht. «Bummeln Sie ein wenig durch Rom und ruhen Sie sich aus, Alexander, Ihre Nerven müssen ja angegriffen sein. Und sehen Sie zu, dass Sie sich von diesen blutgierigen Journalisten fern halten!»
«Blutgierig?», wiederholte Elena empört. «Das hat er gesagt?»
«Hat er.»
«Und da wagst du es, zu mir ins Auto zu steigen? Ist das nicht eine glatte Befehlsverweigerung?»
«Erstens war das kein Befehl, sondern ein Ratschlag, und zweitens hat er von den Journalisten gesprochen, nicht von einer einzelnen hübschen Journalistin.»
«Ah.» Sie grinste verschwörerisch. «Na gut.»
Als sie sich durch den dichten Verkehr am protzigen Viktor-Emanuel-Denkmal wühlten, fragte Alexander: «Warum mitten durch die Stadt? Es gibt schnellere Wege raus in die Berge.»
«Aber nicht, wenn man vorher noch zum Kolosseum will.»
«Wer will das?»
«Wir.»
«Warum?»
«Weil Spartaco da ist. Ich will ihn bitten, während unserer Abwesenheit einiges zu recherchieren.»
«Mein lockenköpfiger Entlastungszeuge», brummte Alexander unwillig. «Warum rufst du ihn nicht einfach an?»
«Weil er zurzeit schlecht telefonieren kann.»
Das verstand er erst, als sie den Fiat unerlaubterweise hinter einer Imbissbude zwischen Forum Romanum und Kolosseum abgestellt hatten und den belebten Vorplatz des antiken Rundbaus betraten. Eigentlich war das Kolosseum ein Oval, die Bezeichnung «Rundbau» das Ergebnis einer optischen Täuschung. Droschkenkutscher, dunkelhäutige Männer, die Spielzeug, Lederwaren und Modeschmuck feilboten, sowie als römische Legionäre Verkleidete, die sich für Erinnerungsfotos zur Verfügung stellten, buhlten im Schatten der riesigen Ruine um Aufmerksamkeit und das Geld der Touristen. Aber die meisten Besucher scharten sich um eine etwas abseits gelegene Wiese. Elena und Alexander drängten sich durch
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