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Der Engelspapst

Der Engelspapst

Titel: Der Engelspapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorg Kastner
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immer am rechten Tiberufer entlang, bis Elena auf den Ponte Palatino abbog. Auf der anderen Seite des Flusses hielt sie auf der leeren Piazza Bocca della Verità, stieg aus und ging auf die alte romanische Kirche Santa Maria in Cosmedin zu, hinter deren verschlossenen Gittern längst die Nachtruhe eingekehrt war.
    «Was suchen wir hier?», fragte Alexander. «Der Eingang ist verschlossen.»
    «Gleich nicht mehr.» Elena zog einen Bund mit mehreren Dietrichen aus einer Tasche ihrer weiten Allwetterjacke und hatte mit dem dritten Nachschlüssel Glück. Das Gittertor vor dem Portikus sprang mit leisem Quietschen auf. «Dieses Werkzeug ist in meinem Beruf sehr hilfreich. Schließlich hat man als Journalistin nicht überall ungehindert Zutritt.»

    «Dieben geht es auch nicht anders», brummte er. «Ich glaube nicht, dass das erlaubt ist.»
    «Geschenkt. Es ist die einzige Möglichkeit, die Bocca della Verità zu besuchen, ohne von ganzen Busladungen japanischer Touristen erdrückt zu werden.»
    Da hatte sie nicht Unrecht. Alexander wusste von mehreren Besuchen auf der Piazza, wie es hier tagsüber zuging, wenn der Platz mit Autos und Reisebussen voll geparkt war. Menschenschlangen drängten sich vor der berühmten Kirche, wobei es vor allem um das Wahrzeichen der Piazza in der Vorhalle des Gotteshauses ging. Im Sekundentakt klickten die Kameras und wechselten die bemüht lächelnden Menschen, die neben dem Steingesicht standen und eine Hand in den legendären Mund der Wahrheit steckten.
    Er folgte Elena in die Vorhalle, wo sie stehen blieb und das große, in eine Wand eingelassene Gesicht versonnen betrachtete.
    Im Ungewissen Dämmerlicht wirkte das von wallendem Haar umgebene Antlitz gar nicht mehr so harmlos wie bei Tag, wenn der Lärm der Touristen jede Andacht zerstörte. Die schwarzen Öffnungen, die Augen, Nase und Mund bildeten, schienen mehr zu sein als bloße Löcher im Stein; sie schienen zu leben.
    «Weißt du, was das ist?», fragte Elena.
    Er war für einen Augenblick irritiert, weil sie zum vertraulichen Du übergegangen war. Aber er fühlte sich sehr wohl dabei und antwortete: «Ein antiker Kanaldeckel.»
    «Banause!», schnaubte Elena. «Ein wahrer Römer glaubt, dass es sich um ein Zauberwesen Vergils handelt. Ein Triton, ein Meeresdämon, halb Mensch, halb Fisch, der jedem Lügner oder Eidbrüchigen die Hand abbeißt. Im Mittelalter soll es tatsächlich vorgekommen sein, dass unaufrichtigen Leuten, die frech genug waren, sich der Probe zu stellen, hinterher ein paar Finger fehlten.» Sie lächelte ihn an. «Aber uns kann ja nichts passieren, weil wir so aufrichtig sind, stimmt’s?»

    Sie schob die rechte Hand in das düstere Steinmaul und sagte:
    «Ich, Elena Vida, schwöre bei der Unversehrtheit meiner Hand, dass ich dich, Alexander Rosin, nicht belügen und keine Geheimnisse vor dir haben werde.»
    Er wusste nicht recht, ob er über den feierlichen Ernst, mit dem Elena ihren Eid sprach, lachen oder staunen sollte.
    Langsam zog sie die Hand wieder hervor und tat, als atme sie erleichtert auf. «Noch alles dran! Jetzt bist du an der Reihe, Alexander.»
    «Alex reicht», sagte er, machte aber keine Anstalten, sich dem Mund der Wahrheit zu nähern. «Du weißt, dass ich dir über das, worüber zu schweigen ich dem Papst versprochen habe, nichts sagen darf.»
    «Okay, Alex, das ist vom Schwur ausgenommen. Jetzt aber los!»
    Schon als er Elena einen wahrheitsgetreuen Bericht über die Vorfälle in den Bergen erstattete, hatte er beschlossen, ihr zu vertrauen. Weil er eine Verbündete brauchte und weil er sie mochte.
    Also trat er neben sie und erklärte: «Ich, Alexander Rosin, schwöre bei der Unversehrtheit meiner Hand, dass ich dich, Elena Vida, nicht belügen und keine Geheimnisse vor dir haben werde – außer der Sache mit dem Papst.»
    «Hübsch gesagt, aber du hast vergessen, die Hand in den Mund der Wahrheit zu stecken.»
    Zögernd schob Alexander die Rechte in den kalten Stein. Ein seltsames Kribbeln lief von der Hand den ganzen Arm hinauf, und ihm war unwohl zumute. Er fühlte sich Elena verbunden, und doch hütete er tief in seinem Herzen ein Geheimnis vor ihr, das nichts mit dem Papst zu tun hatte.

12
    Montag, 11. Mai
    Täuschte Alexander sich, oder setzte Adjutant Walter Stückelberger aus dem Musikgeschwader beim Betrachten des Urlaubsscheins eine skeptische Miene auf? Es war, als kenne er den eigentlichen Grund für Alexanders Sonderurlaub.
    An der Porta Sant’Anna herrschte die übliche

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