Der Engelsturm
noch zerstreuter als sonst. »Ist etwas nicht in Ordnung, Camaris?«
»Ich kann nicht schlafen. Das Schwert verfolgt mich in meinen Träumen.« Er betastete krampfhaft Dorns Griff. »Ich höre, wie es zu mir singt.« Er zog es ein kleines Stück aus der Scheide, einen Streifen reiner Schwärze. »Ich habe dieses Schwert viele Jahre getragen.« Er suchte nach Worten. »Ich … ich habe es schon früher manchmal gefühlt … vor allem in der Schlacht. Aber nie so stark. Ich glaube … ich glaube, es ist lebendig.«
Josua musterte die Klinge nicht ohne Misstrauen. »Vielleicht solltet Ihr es nicht immer bei Euch tragen, Camaris. Ihr werdet schon bald gezwungen sein, es wieder aufzunehmen. Legt es doch bis dahin an einen sicheren Ort.«
»Nein.« Der Alte schüttelte den Kopf. In seiner Stimme lag Schwermut. »Nein, das wage ich nicht. Wir müssen noch mehr erfahren. Wir wissen immer noch nicht, wie man die drei Großen Schwerter gegen unseren Feind einsetzen kann. Und wie Ihr sagt,die Entscheidung naht. Vielleicht kann ich das Lied, das Dorn singt, bis dahin doch noch verstehen. Vielleicht …«
Der Prinz hob die Hand, wie um ihm zu widersprechen, ließ sie dann aber sinken. »Ihr müsst tun, was Ihr für richtig haltet. Ihr seid Dorns Meister.«
Camaris sah ihn mit ernsten Augen an. »Bin ich das? Ich habe es einmal geglaubt.«
»Hier, trinkt noch einen Schluck Wein«, drängte Isgrimnur.
Er wollte von seinem Hocker aufstehen, ließ es aber dann doch lieber bleiben. Der Kampf mit den Kilpa hatte ihn in seiner Genesung zurückgeworfen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht bat er Josua, ihm nachzuschenken. »Es ist schwer, sich nicht von Geistern verfolgt zu fühlen, wenn der Wind heult und die See uns schüttelt wie Würfel in einem Becher.«
»Isgrimnur hat recht«, lächelte Josua. »Kommt, trinkt aus.«
Wieder hob und senkte sich die Kajüte, und Wein spritzte auf sein Handgelenk. »Rasch, solange mehr im Becher als auf dem Boden ist.« Camaris schwieg eine lange Weile. »Ich muss mit Euch sprechen, Josua«, erklärte er dann plötzlich. »Es lastet etwas auf meiner Seele.«
Der Prinz wartete verwundert.
Das Gesicht des Ritters war fast grau, als er jetzt den Herzog ansah. »Bitte, Isgrimnur … ich muss mit Josua allein sein.«
»Ich bin Euer Freund, Camaris«, sagte der Herzog. »Wenn jemanden Schuld daran trifft, dass Ihr hier seid, bin ich es. Wenn Euch etwas quält, möchte ich helfen.«
»Es geht um eine Schande, die mich verbrennt. Ich würde Josua nichts davon erzählen, wenn er es nicht erfahren müsste. Selbst wenn ich aus Angst vor dem, was das Schwert anrichten kann, schlaflos daliege, straft mich Gott für meine verborgene Sünde. Ich bete darum, dass er mir die Kraft schenkt, Dorn und seine Schwesterklingen zu verstehen, wenn ich mein Unrecht gesühnt habe. Aber bitte zwingt mich nicht, meine Schmach auch vor Euch aufzudecken.« Camaris sah jetzt uralt aus, die Züge schlaff, der Blick unstet. »Bitte. Ich flehe Euch an.«
Isgrimnur nickte verwirrt und erschrocken. »Selbstverständlich, Camaris. Wie Ihr wünscht.«Isgrimnur überlegte noch, ob er weiter in dem engen Gang draußen warten sollte, als die Kajütentür sich öffnete und Camaris heraustrat. Der alte Ritter, der sich unter der niedrigen Decke ducken musste, schob sich an ihm vorbei. Bevor jedoch Isgrimnur die Hälfte seiner Frage herausgebracht hatte, war Camaris den Gang hinuntergegangen, und man hörte, wie er an die Wände stieß, wenn die Juwel von Emettin im Sturm schaukelte.
Isgrimnur klopfte an die Tür. Als der Prinz nicht antwortete, schob er sie leise auf. Der Prinz starrte in die Lampe, und sein Gesicht war so verstört wie das eines Mannes, der gerade seinen eigenen Tod gesehen hat.
»Josua?«
Die Hand des Prinzen hob sich, als zöge jemand an einer Schnur. Er schien vollkommen ausgelaugt. Prinz Josuas Stimme klang ausdruckslos und war zum Fürchten. »Geht weg, Isgrimnur. Lasst mich allein.«
Der Herzog zögerte, aber ein Blick in Josuas Antlitz nahm ihm die Entscheidung ab. Was immer in der Kajüte vorgefallen war, er konnte jetzt nur eines für den Prinzen tun: ihn in Frieden lassen.
»Schickt nach mir, wenn Ihr mich braucht.« Er entfernte sich leise. Josua sah nicht auf und antwortete nicht, sondern fuhr fort, die Lampe anzustarren, als sei sie das Einzige, das ihn aus der tiefen Finsternis herausführen könnte.
»Ich versuche ja zu verstehen.« Miriamel brummte der Kopf.
»Erzähl mir noch einmal von den
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