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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wogten.
    Es war, als stürze in diesem Augenblick und an diesem Ort die ganze Schöpfung zusammen. Simon fühlte, wie Entsetzen aus ihm herausströmte, durch seinen Arm knisterte, durch Hellnagel hindurch mitten in die geballte Schwärze fuhr.
    Die Finsternis wölbte sich. Winzige Blitzbögen durchzuckten den Raum. Simon wusste, dass irgendwo draußen Asu’a brannte, das Asu’a von vor fünfhundert Jahren, und dass seine Bewohner unter den Schwertern von Fingils totem Heer starben. Und was war mit den anderen? Waren alle, die Simon gekannt hatte, fortgetragen worden vom kreisenden Rad der Zeit? Alle und alles?
    Im Zimmer flackerten die Blitze. Mitten darin bebte etwas, ein Unwetter aus Feuer und Gewitterwolken, das plötzlich aufbrach und den Raum mit blendender Helligkeit erfüllte. Pryrates, wieder in seiner natürlichen Gestalt, stolperte rückwärts aus dem strahlenden Glanz, der sich daraufhin sofort wieder verfinsterte. Der Priester reckte triumphierend die Arme über den Kopf, aber dann taumelte er und fiel auf die Knie. Die Dunkelheit gerann zu einer vage menschenähnlichen Gestalt, die ihm gegenüberstand, die blutrote Andeutung eines Gesichts auf dem missgestalteten Haupt.
    Pryrates schlotterte und schluchzte. »Verzeiht mir! Verzeiht meine Anmaßung, meine Dummheit! O bitte, Gebieter, vergebt mir!« Er kroch auf die Erscheinung zu und schlug mit der Stirn auf den fast unsichtbaren Boden. »Ich kann Euch noch immer große Dienste erweisen! Erinnert Euch, was Ihr mir versprochen habt, Herr – wenn ich Euch treu diente, sollte ich der Erste unter den Sterblichen sein.«
    Das Wesen hielt noch immer Leid fest umklammert, das freilich kaum noch zu erkennen war, streckte aber die andere, verkohlte Hand so weit aus, dass sie den Alchimisten berührte. Die Finger schlossen sich um seinen glatten, nassen Schädel. Eine Stimme, mächtiger als die Glocke, harsch und tödlich wie das Zischen von Eiswind, kratzte durch das Dunkel. Selbst nach allem, was schon geschehenwar, füllten sich Simons Augen bei ihrem Klang mit Tränen der Furcht.
    »JA. DU WIRST DER ERSTE SEIN.«
    Unter den Fingern des Königs stieg Dampf auf. Pryrates kreischte und warf die Arme hoch, um nach den Händen des anderen zu greifen. Doch der König rührte sich nicht, und Pryrates konnte sich nicht befreien. Flammenbäche rannen über sein Gewand. Das Gesicht des Königs vor ihm war ein undeutlicher schwarzer Fleck, aber die Augen und der zerfetzte Mund leuchteten scharlachrot. Der Schrei des Priesters war ein Laut, der keiner menschlichen Kehle entstammen konnte. Dampfwolken hüllten ihn ein, aber Simon sah noch, wie die fuchtelnden Arme zu qualmen begannen, platzten und schrumpften, peitschend wie Baumäste. Es kam ihm sehr lange vor, bis der Priester – nur noch Knochen und brennende Lumpen – zu Boden fiel, wo er zuckte wie eine zertretene Grille. Allmählich wurden die ruckartigen Bewegungen langsamer und hörten auf.
    Das Wesen, das Elias gewesen war, sackte mit gesenktem Kopf zusammen und war nur noch ein Schatten. Aber Simon fühlte, wie es die Kräfte trank, die durch Hellnagel, Dorn und Leid brausten, und so die Kraft zurückgewann, den gestohlenen Körper zu beherrschen. Auf irgendeine Weise hatte Pryrates es verletzt, aber Simon wusste, dass es nur eine Frage von Augenblicken war, bis es sich wieder erholt haben würde. Eine winzige Hoffnung keimte in ihm auf, und wieder versuchte er, den Schwertgriff loszulassen. Aber Hellnagel war mit ihm verwachsen wie sein Arm. Es gab kein Entkommen.
    Als hätte es seinen Befreiungsversuch gespürt, sah das schwarze Wesen zu ihm auf. Simons Herz setzte aus und wäre fast stehengeblieben, als er die unversöhnlichen Gedanken des anderen erfasste. Ineluki hatte die Zeit selbst außer Kraft gesetzt, um zurückkehren zu können. Selbst der sterbliche Priester, so mächtig er auch gewesen sein mochte, hätte die Tür nicht wieder schließen können – was konnte Simon schon ausrichten?
    In dieser Sekunde des Grauens fühlte Simon auf einmal das Brennen des Drachenbluts, das einst sein Fleisch versengt und ihn verwandelt hatte. Er starrte auf die formlose schwarze Gestalt, die Eliasgewesen war, die zerstörte Hülle und ihren feurigen Bewohner, und spürte an der Stelle, wo die schwarze Essenz des Drachen ihn verwundet hatte, einen Schmerz, der wie eine Antwort war. Durch das pulsierende Nicht-Licht, das Hellnagel und Leid verband, floss nicht nur der alles verzehrende Hass, der den Sturmkönig in

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