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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wie es weitergeht
    »Sagt mir, was geschehen ist, Tiamak.« Der Herzog zwang sich, gerade zu sitzen und sich den Anschein von Selbstbeherrschung zu geben. »Erzählt mir, was Ihr erlebt habt.«
    »Bestimmt kann ich Euch wenig berichten, das Ihr nicht …«, begann der Marschmann.
    »Erzählt nur.« Isgrimnur brachte den gebrochenen Arm in eine bequemere Position. »Es wird noch eine Weile dauern, bevor Strangyeard zu uns stoßen kann, aber wahrscheinlich habt Ihr schon mit ihm geredet.«
    Tiamak nickte. »Ja, als ich ihm Salbe auf seine Wunden strich. Jeder hat jetzt seine eigene Geschichte zu erzählen, und keine von ihnen ist erfreulich.« Er sammelte sich einen Augenblick und begann. »Ich ging mit den Sithi – es dauerte lange, bis wir unten in den Höhlen Josua fanden …«
     
    »Ihr glaubt also, dass Josua schon tot war?« Die schmerzliche Unrast seiner gesunden Hand, mit der sich der Herzog ständig im Bart wühlte, zog und zerrte, strafte die Gelassenheit seiner tiefen Stimme Lügen. Sein Bart wirkte dünner und räudiger, als hätte er ihn in letzter Zeit allzu sehr misshandelt.
    Tiamak nickte betrübt. »Das Schwert des Königs traf mit voller Wucht seinen Hals. Es gab ein fürchterliches Geräusch – eine ArtKnacken – und dann das Blut …« Der kleine Wranna schauderte. »Er kann es nicht überlebt haben.«
    Isgrimnur brütete eine Weile vor sich hin und schüttelte dann den Kopf. »Ach ja. Wenigstens danke ich Usires Ädon für die Gnade, dass Josua nicht gelitten hat. Ein unglücklicher Mann, aber ich liebte ihn. Ein trauriges Ende.« Er sah auf, horchte auf einen Ruf in der Ferne und blickte dann wieder den Wranna an. »Und dann verlort Ihr selbst das Bewusstsein?«
    »Nachdem ich die Glocke noch einmal gehört hatte, erinnere ich mich an nichts mehr … bis ich aufwachte. Ich lag immer noch in dem Raum mit den Glocken, aber das erkannte ich nicht gleich. Ich sah nur, dass mich ein Wirbelwind aus Feuer, Rauch und sonderbaren Schatten umwogte.
    Ich wollte aufstehen, aber in meinem Kopf drehte sich alles, und meine Beine wollten mir nicht gehorchen. Jemand packte mich am Arm und zerrte an mir, bis ich auf die Füße kam. Zuerst dachte ich, ich hätte den Verstand verloren, weil ich niemanden sah. Dann schaute ich nach unten, und es war Binabik, der mir geholfen hatte.
    ›Schnell‹, sagte er, ›der ganze Turm bricht zusammen!‹ Wieder zog er an mir, denn ich war noch ganz benommen und verstand ihn nicht richtig. Überall war Rauch, und unter meinen Füßen bockte laut knirschend der Boden. Während ich noch so schwankend dastand, tauchte Miriamel auf. Sie schleppte mit großer Mühe einen Körper hinter sich her. Vor lauter Staub und Asche erkannte ich ihn nicht gleich, aber es war der junge Simon.
    ›Ich habe ihn getötet‹, murmelte Miriamel immer wieder. Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Ich begriff nicht, warum sie das dachte, denn ich sah ja, dass sich seine Finger bewegten und die Brust sich hob und senkte. Binabik beeilte sich, ihr zu helfen, und gemeinsam zogen sie Simon nach der Treppe. Ich folgte ihnen. Gleich darauf wackelte der Turm wieder, und ein großer Steinbrocken fiel herunter und zerbarst genau an der Stelle, wo ich eben noch gestanden hatte.« Er griff nach unten und zeigte auf den Verband an seiner Wade. »Ein Stück sprang ab und zerschnitt mir das Bein, aber nicht sehr tief.« Er richtete sich auf.
    »Miriamel wollte zurückgehen, um auch Josua zu holen, aber derBoden schwankte jetzt sehr heftig, und immer mehr Steine fielen von Decke und Wänden. Ich kam allmählich wieder ganz zu mir und sagte ihnen, dass der König Josua das Genick gebrochen und dass ich es gesehen hätte. Miriamel, die man kaum verstehen konnte – trotz ihrer Tränen wirkte sie wie im Halbschlaf –, wollte noch etwas über Camaris sagen, als eine der Glocken sich losriss und herunterdonnerte. Sie durchschlug den Boden, und wir konnten sie dröhnen hören, als sie irgendwo unten aufprallte. Überall war Qualm. Ich hustete, und meine Augen waren ebenso nass wie diejenigen Miriamels. Das war mir zwar im Moment gleichgültig, aber ich war überzeugt, dass ich, wenn wir jetzt verbrannten oder zerschmettert würden, nie erfahren könnte, warum alles so gekommen war.
    Binabik packte Miriamel am Arm, deutete auf die Decke und schrie, dass wir keine Zeit mehr hätten. Es wäre schon schwer genug, Simon zu tragen. Sie widersprach noch einmal, aber man merkte, dass sie ihrer Sache selbst nicht sicher war.

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