Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
hatten, nicht mehr durchdringen. Der Springquell aus blauem Licht, der aus dem Teich der Drei Tiefen emporstieg, war zu einem schmalen, schweigenden Bach geworden, der dort, wo die Schwerter aneinanderstießen, in der Schwärze verschwand und nicht wieder auftauchte. Als Pryrates geendet hatte, war kein Laut zu hören außer dem hastigen Hecheln des Königs. In den Tiefen seiner Augen züngelten blutrote Flammen auf, dann ruckte sein Kopf nach hinten, als hätte man ihm das Genick gebrochen. Dunstiges Purpurlicht leckte aus seinem Mund.
    Simon sah voller Grauen zu. Durch die Schwerter konnte er fühlen, wie sich der Weg öffnete, ganz wie Pryrates gesagt hatte. Etwas, das zu entsetzlich war, um existieren zu dürfen, erzwang sich den Weg in die Welt. Der Körper des Königs zuckte wie eine Kinderpuppe an einer Schnur. Überall an ihm flackerten schwelende Lichter auf; es war, als zerreiße das Gewebe seines Körpers und enthülle einen brennenden Kern.
    Irgendwo schrie Miriamel. Ihre kleine, verlorene Stimme klang, als käme sie vom anderen Ende des Weltalls.
    Die Glockenstube war verschwunden. Ringsum erhoben sich mit ihren seltsamen Winkeln, gebrochen wie in Spiegelscherben, die Nadeltürme von Asu’a. Sie brannten, wie der Körper des Königs brannte, zerfielen, wie die Zeit selbst zerfiel. Fünf Jahrhunderte glitten in eisige, schwarze Leere. Nichts würde von ihnen übrigbleiben als Asche und Steine und Inelukis unermesslicher Triumph.
    »Kommt zu uns, Sturmkönig!«, schrie Pryrates. »Ich habe den Weg bereitet. Die Worte des Widerrufs befreien die Macht der Schwerter, und die Zeit läuft rückwärts. Die Geschichte ist aufgehoben! Wir schreiben sie neu!«
    Elias wand sich und wurde dabei größer, als sei das, was in ihm steckte, zu groß für eine menschliche Gestalt und weite ihn fast bis zum Bersten. Etwas wie ein Geweih wuchs aus seiner Stirn, und seine Augen waren Abgründe, in denen es scharlachrot schmolz und brodelte.Seine Umrisse wogten, eine sich ständig verändernde Schattenflut, die keine wirkliche Gestalt mehr erkennen ließ. Seine Arme breiteten sich aus. Eine Hand hielt noch immer den kaum sichtbaren Fleck aus Nichts, der Leid gewesen war, die andere reckte sich und spreizte Finger, die schwarz wie verkohlte Stöcke waren. In den Falten dazwischen spielte glühendes Licht.
    Das Wesen hielt inne, flackernd und formlos. Es schien zum Umfallen müde, wie ein frischgeschlüpfter Schmetterling.
    Pryrates trat einen Schritt zurück und wandte das Gesicht ab. »Ich habe … ich habe getan, was Ihr wolltet, Mächtiger.«
    Sein selbstzufriedenes Grinsen war verschwunden; der Priester hatte die Tür freiwillig geöffnet, aber das, was hindurchgetreten war, entsetzte selbst ihn. Er holte tief Atem und schien auf einen Rest innerer Kraft zurückzugreifen. Seine Züge wurden wieder raubtierhaft. »Die Stunde ist da – aber es ist nicht Eure Stunde, sondern meine. Hätte ich mich denn darauf verlassen können, dass jemand, der alles Lebende hasst, seine Zusagen einhalten würde? Ich wusste, sobald Ihr mich nicht mehr brauchen würdet, wären Eure Versprechungen wie Wind in der Dunkelheit.« Er breitete die weiten Ärmel aus. »Sterblich mag ich sein, doch ich bin kein Tor. Ihr gabt mir die Worte der Verwandlung und hieltet sie für ein Spielzeug, mit dem ich mich vergnügen sollte wie ein Kind, solange ich Eure Befehle ausführte. Doch auch ich habe dazugelernt. Diese Worte werden Euer Käfig und Ihr werdet mein Diener sein. Die ganze Schöpfung wird sich vor Euch verneigen – aber Ihr sollt das Haupt vor mir beugen!«
    Das formlose Gebilde in der Mitte der Kammer strudelte wie verwehter Rauch, aber sein schwarzes, rotdurchströmtes Herz behielt seine Festigkeit. Pryrates begann einen lauten Gesang, der nur durch die Pausen zwischen den einzelnen Lauten als Sprache zu erkennen war. Der Alchimist schien sich zu verwandeln. Er schwankte in der rotschwarzen Finsternis, die den König umhüllte wie ein Nebel. Seine Glieder krümmten sich und platzten auf grässliche, schlangenhafte Art auseinander, bis er zu einem vielfach gewundenen Schatten verblasste, einem breiten Band aus Schwärze, das sich um die Stelle ringelte, an der der König, oder was immer ihn verschlungenhatte, stand. Die Schattenwindungen verengten sich um das schwelende Herz. Die Welt schien sich noch weiter nach innen zu biegen, und beide Gestalten zerflossen, bis in der Mitte der Glockenstube nur noch Flammen, Dampf und Dunkelheit

Weitere Kostenlose Bücher