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Der Engelsturm

Der Engelsturm

Titel: Der Engelsturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Zu dritt hoben wir Simon auf, so gut wir konnten – er war ganz schlaff und darum sehr schwer zu tragen –, und liefen zur Treppe.
    Unterhalb der ersten Windung war der Rauch nicht mehr so dicht. Das Feuer schien nur die Glockenstube erfasst zu haben, obwohl ich einer Bemerkung Binabiks zu entnehmen glaubte, dass gerade eben noch der ganze Turm in Flammen gestanden hatte. Aber obwohl wir jetzt leichter atmen konnten, glaubte ich trotzdem nicht, dass wir es bis nach unten schaffen würden, denn der Turm bog sich wie ein Baum im Sturm. Ich habe gehört, dass in grauer Vorzeit ein paar der südlichsten Inseln in der Bucht von Firannos verschwanden, weil die Erde so bebte, dass das Meer sich auftat und sie verschlang. Wenn das stimmt, müssen ihre letzten Minuten ähnlich gewesen sein wie unsere Zeit im Turm. In dem engen Treppenhaus konnten wir uns kaum auf den Füßen halten. Ich wurde mehrmals gegen die Wand geworfen, und wir hatten Glück, dass uns der arme Simon nur zweimal hinfiel. Steine prasselten herunter, und überall flog Staub auf, der mir genauso den Atem raubte wie weiter oben der Rauch.«
    Er machte eine Pause und presste die Finger an die Schläfen. Sein Kopf tat weh. Wenn er an ihre verzweifelte Flucht über die Stufen dachte, waren die Schmerzen fast genauso groß wie damals.
    »Wir waren noch etwas weiter nach unten gekommen – es ging nur äußerst mühsam vorwärts, und die Stufen schienen uns buchstäblich unter den Füßen wegzubröckeln –, als unter uns aus dem Staub plötzlich eine Gestalt auftauchte. Sie war voller Asche, Schmutz und Blut und hatte Glotzaugen. Zuerst dachte ich an einen Schreckensdämon, vielleicht von Pryrates beschworen, aber Miriamel rief ›Cadrach!‹, und ich erkannte ihn. Natürlich war ich sehr erstaunt, denn ich hatte keine Ahnung, wie ausgerechnet er an diesen Ort kam. Im Ächzen und Poltern des Turms konnte ich ihn kaum hören, aber er sagte, ohne einen von uns dabei anzusehen, nur: ›Ich habe auf Euch gewartet.‹ Dann machte er kehrt und führte uns die Stufen hinunter. Ich war zornig und ängstlich und fragte mich auch, warum er uns nicht anbot, uns mit Simon zu helfen, der für eine junge Frau, einen Troll und einen kleinen Mann wie mich eine bleischwere Last war. Außerdem fing Simon langsam an, sich zu regen; er murmelte vor sich hin und zappelte. Das machte es noch mühsamer, ihn zu tragen.
    An das, was jetzt kam, kann ich mich nur schwer erinnern. Wir liefen, so schnell wir konnten, aber wir hatten kaum noch Hoffnung, aus dem Turm herauszukommen, bevor er endgültig zusammenbrach. Wir befanden uns immer noch sehr weit oben, vielleicht auf zehnfacher Mannshöhe. Als wir an einem Fenster vorbeikamen, sah ich, dass die Turmspitze abgeknickt herunterhing, als machte der Turm eine Verbeugung. Vermutlich fallen einem in solchen Situationen die merkwürdigsten Dinge auf, denn ich sah, dass der Bronzeengel auf der Turmspitze die Arme ausgebreitet hatte, als wollte er gleich davonfliegen. Auf einmal wackelte die ganze Spitze, brach ab und stürzte in die Tiefe, wo ich sie nicht mehr sehen konnte.
    In der Wand des Treppenhauses waren Risse, so breit, dass Ihr den Arm hättet hindurchstecken können, Isgrimnur. Durch einige von ihnen erkannte ich den grauen Himmel.
    Dann schüttelte ein neues Beben den Turm, so heftig, dass wir alle hinfielen. Das Schwanken hörte nicht auf; wir konnten fast nicht wieder aufstehen. Endlich gelang es uns. Als wir ein paar weitere Stufen hinuntergeklettert waren, endete die Wendeltreppe auf einmal im Nichts. Die ganze Seitenmauer des Turms war weggebrochenund nach außen gefallen. Ich konnte sie in großen Trümmern unten im Schnee liegen sehen, weiß auf weiß. Sie hatte ein großes Stück der Treppe mitgerissen, sodass bis zum nächsten Abschnitt eine viele Schritte breite Lücke klaffte. Darunter lag ein zwanzig Ellen tiefer Abgrund, schwarz und voll spitzer Steine.«
    Wieder hielt er inne. »Was dann geschah, ist nur schwer fassbar. Wäre ich in meinem Sumpf geblieben, würde ich einem anderen die Geschichte nicht glauben. Aber ich habe Dinge gesehen, die meine Vorstellungen von dem, was möglich ist, verändert haben.«
    Isgrimnur nickte trübe. »Ich auch. Weiter, Mann.«
    »So standen wir vor dem Loch und starrten hoffnungslos auf das Geröll, das sich immer noch von der Abbruchkante löste und hinab ins Dunkel polterte.
    ›Das ist also das Ende‹, sagte Miriamel. Ich muss sagen, dass sie nicht einmal sonderlich erschrocken

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