Der Engelsturm
Dachs.« Er verzichtete darauf, den Fremden ihre Namen zu nennen. Das zumindest fand Miriamels stumme Billigung.
»Aber wir haben nichts, das so vornehmer Leute würdig ist, Mann.« Gullaighns Gesicht hätte freundlich aussehen können, doch Furcht und schwere Zeiten hatten die Haut erschlaffen, den Blick traurig werden lassen. »Wir tun ihnen keinen Gefallen, wenn wir sie in unsere ärmliche Hütte führen.«
»Schweig, Frau. Wir werden tun, was wir können.«
Sie schien noch mehr sagen zu wollen, presste jedoch stattdessen die Lippen zu einem grimmigen Strich zusammen.
»Dann sind wir uns ja einig«, sagte ihr Mann. »Kommt nur, es ist nicht allzu weit von hier.«
Nach kurzer Überlegung stiegen Simon und Miriamel ab, sodass sie neben ihren Gastgebern hergehen konnten. »Lebt ihr hier im Hasutal?«, erkundigte sich Simon.
Roelstan lachte auf. »Seit kurzem. Früher wohnten wir in Falshire.«
Miriamel zauderte, bevor sie es aussprach. »Und … wart ihr Feuertänzer?«
»Zu unserem Leidwesen«, sagte Roelstan.
»Sie sind böse und sehr mächtig.« Gullaighns Stimme war belegt und kam fast stockend. »Ihr solltet Euch nicht mit ihnen einlassen, Herrin, und Euch von allem fernhalten, das sie berührt haben.«
»Warum waren diese Männer hinter euch her?« Simon strich instinktiv über seinen Schwertgriff.
»Weil wir fortgegangen waren«, gab Roelstan zur Antwort.
»Wir hielten es nicht mehr aus. Sie sind toll, aber wie Hunde können sie selbst in ihrer Tollwut noch Schaden anrichten.«
»Und man entkommt ihnen nicht so leicht«, ergänzte Gullaighn. »Sie sind verbissen und lassen nicht los. Und sie sind überall.« Sie senkte die Stimme. »Überall!«
»Beim Erlöser, Frau«, knurrte Roelstan, »was soll das? Du hastgesehen, wie dieser Ritter das Schwert schwingt. Er hat nichts von ihnen zu befürchten.«
Simon marschierte ein wenig aufrechter. Miriamel lächelte, aber nach einem Blick in Gullaighns besorgtes Gesicht verschwand ihr Lächeln. Hatte die Frau recht? Gab es hier noch weitere Feuertänzer? Vielleicht sollten sie morgen die Hauptstraße doch wieder verlassen und ihre Reise mehr im Verborgenen fortsetzen.
Wie als Antwort auf ihre Gedanken blieb Roelstan stehen und deutete auf einen Pfad, der von der Alten Waldstraße abzweigte und sich im Wald der Bergflanke verlor. »Wir haben uns dort oben angesiedelt«, erläuterte er. »Es ist nicht gut, zu nahe an der Straße zu wohnen, denn dort könnte der Rauch eines Feuers Besucher anlocken, die nicht so willkommen sind wie Ihr.«
Sie folgten Roelstan und Gullaighn den schmalen Steig hinauf. Schon nach den ersten Windungen verschwand die Straße, verborgen unter einer Decke von Baumkronen. Es war ein langer und steiler Aufstieg durch dichtstehende Bäume, und als die Dämmerung einsetzte, fiel es ihnen immer schwerer, den dunklen Mänteln ihrer Führer zu folgen. Gerade als Miriamel dachte, sie würden wohl eher den Mond sehen als ihren Rastplatz, blieb Roelstan stehen und bog den dicken Ast einer Föhre zurück, der über dem Weg hing.
»Dort ist es.«
Simon, gefolgt von Miriamel, führte sein Pferd unter dem Ast durch und fand sich plötzlich auf einer weiten Lichtung des Berghangs. In der Mitte stand ein Blockhaus, einfach gebaut, aber überraschend groß. Aus einem Loch im Dach stieg Rauch.
Miriamel war verblüfft. Jäh von bösen Ahnungen erfüllt, fragte sie Gullaighn: »Wer außer euch wohnt noch hier?«
Die Frau antwortete nicht.
In der Türöffnung des Hauses entstand eine Bewegung. Gleich darauf erschien auf dem festgestampften Erdboden davor ein Mann. Er war untersetzt und stiernackig und trug ein weißes Gewand.
»So treffen wir uns wieder«, begrüßte sie Maefwaru. »Unsere Bekanntschaft in der Schenke währte zu kurz.«
Miriamel hörte Simon fluchen und das Scharren seines Schwertes,als es aus der Scheide fuhr. Er zerrte am Zaum ihres Pferdes, um das Tier zu drehen.
»Lasst das«, mahnte Maefwaru und stieß einen Pfiff aus. Aus den Schatten rings um die Lichtung löste sich ein halbes Dutzend weiterer weißgekleideter Gestalten. Im Zwielicht sahen sie wie Gespenster aus, geboren von den geheimnisvollen Bäumen. Mehrere von ihnen hielten gespannte Bogen.
»Roelstan, entferne dich mit deinem Weib.« Der Kahlköpfige klang fast freundlich. »Ihr habt euren Auftrag erfüllt.«
»Verflucht sollst du sein, Maefwaru!«, schrie Gullaighn. »Am Tag des Abwägens wird man dir Wurst aus deinen eigenen Eingeweiden zu fressen
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