Der Entertainer
Verkehr.
Wir sollten uns bei einem Jorge Cavaldos melden. Er war ein Teniente, ein Leutnant.
Die beiden Posten vor dem alten Gebäude mit der breiten ausgetretenen Steintreppe hielten uns auf. Unter den Helmen schauten sie uns scharf und böse an. Man war wohl auf Besucher nicht eingestellt. Wir wurden zu einer Anmeldung geführt und empfanden die Kühle in dem alten Bau mit den dicken Mauern als sehr wohltuend. Der Mann in der Kabine telefonierte mit Cavaldos, während wir auf einer Bank saßen und auf Auskunft warteten. Für viele war Rio die Weltstadt des Verbrechens. Ich hielt mich da raus, weil ich derartige Statistiken nicht mochte. Jedes Verbrechen war für mich zuviel. Beide kamen wir uns vor wie in einer alten Schule. Die breiten Gänge und das Treppenhaus lagen in einer unnatürlichen Ruhe.
Es wurden auch keine Verbrecher angekarrt. Später erfuhren wir dann, daß es noch weitere Eingänge und auch bestimmte Anbauten, in denen so einiges ablief, gab.
Jedenfalls hatten die Brasilianer Zeit genug. Beim Yard hätte kaum ein angemeldeter Besucher so lange gewartet. Schließlich erschien ein Beamter, der mich wegen seiner Bewaffnung mehr an einen Soldaten erinnerte, und forderte uns auf, mitzukommen.
Mit einem quietschenden Lift fuhren wir in den zweiten Stock. Durch einen breiten Gang mußten wir gehen. Hier war es schon lebhafter. Wir hörten die lauten Stimmen, da knallten Türen, es rasselten Telefone, und immer wieder wurde geschrien.
In den meisten Büros hockten mehrere Beamte zusammen. Auch in dem, durch das wir gingen.
Eine sehr schöne Frau fiel mir auf. Sie hielt einen Jungen fest und redete mit einem stumpfsinnig auf ihren Busen glotzenden Vernehmungsbeamten. Neben der schönen Frau saß eine andere und weinte.
Jorge Cavaldos empfing uns wie ein Operettenfürst. In seiner sehn ieke sitzenden Uniform machte er auf uns ›Eindruck‹. Gepflegt schimmerte der dunkle Bart auf seiner Oberlippe. Das dunkle Haar war nach vorn gekämmt und zu einem Pony geschnitten. Sein Lächeln wirkte ebenso zackig wie die übrige Haltung, und er begrüßte uns mit einem militärischen Gruß, den wir nur locker erwiderten. Er sprach gutes Englisch und erkundigte sich nach unseren Flug, den wir ausgezeichnet und teilweise schlafend überstanden hatten.
»Kaffee werden Sie sofort bekommen«, sagte er auf Besucherstühle deutend, »dann können wir reden.«
»Über den Entertainer«, sagte Suko.
Die Miene des Kollegen verdüsterte sich. »Ja, mittlerweile sind wieder Tote hinzugekommen.«
»Sahen Sie so aus wie…?«
Er nickte. »Ganz genau, Senor Sinclair. Man konnte kaum noch erkennen, daß es Menschen waren.«
»Und noch immer keine Spur?« Ein junger Mann brachte heißen Kaffee. Wir schlürften ihn.
»Eine Spur haben wir nicht. Er taucht plötzlich auf und killt. Dabei kümmert er sich nicht darum, zu welcher Bevölkerungsgruppe die Opfer gehören. Er ist da brutal und grausam, und er hinterläßt nie Spuren.«
»Aber sie haben seine Beschreibung?« fragte Suko.
»Ja!« erklärte Cavaldos voller Stolz. »Die haben wir tatsächlich. Sie ist uns überliefert worden, und ich muß Ihnen gestehen, daß wir es tatsächlich mit einem Monster zu tun haben. Ein schreckliches Wesen, ein affenartiges Geschöpf, das aus irgendeiner Höhle gekrochen sein muß…«
»Kein Werwolf?« fragte ich.
Der Kollege zögerte und wischte mit einem Tuch Schweißtropfen von der Stirn. »Sie meinen so einen Werwolf, wie man ihm aus Filmen kennt?«
»Zum Beispiel.«
Er mußte lachen. »Nein, Senhor, das ist nicht der Fall. Nein, das ist nicht die Wahrheit. Wir sind nicht im Film, sondern…«
»Es gibt sie nicht nur im Film«, sagte Suko mit sehr sanft klingender Stimme.
Cavaldos räusperte sich. »Ich bin Brasilianer«, sagte er uns, »und darauf bin ich stolz. Ich weiß, daß in diesem Lande nicht alles richtig ist, da mischt sich der Glaube mit dem Aberglauben. Hier gibt es Voodoo und Macumba, und über vielem steht segnend die katholische Kirche. Ich weiß das alles, aber an Werwölfe glaubt hier keiner. Da müssen Sie aus Europa kommen und mir erklären, daß ich nach einem Werwolf suchen soll?«
»Das hatten wir eigentlich vor.«
»Trotzdem, ich kann Ihnen nicht folgen. Soll ich Ihnen mal meine Meinung sagen?«
»Bitte.«
Er beugte sich vor und hätte seine Tasse beinahe umgestoßen. »Ich glaube daran, daß sich jemand verkleidet hat. Einer, der nicht richtig im Kopf ist, verstehen Sie? Der rennt hier durch Rio und
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