Der Entertainer
welche Wege wir damals genommen hatten.
Noch immer stand die Sonne am Himmel. Sie brannte hernieder, doch innerhalb des Dschungels war von ihr nicht viel zu sehen. Das dichte Blätterwerk schaffte es leicht, einen Großteil des Lichts zu filtern. Unter dem grünen Dach verteilte sich nur die stickige Schwüle, in der sich Insekten besonders wohl fühlten und sich gern uns als Ziele aussuchten.
Der Untergrund bestand aus einer abwechslungsreichen Mischung aus Hügeln und Einschnitten. Dementsprechend wurden wir durchgeschüttelt. Manchmal war der Weg staubtrocken, dann gab es Flecken, wo sich die Feuchtigkeit gehalten hatte und die Reifen des Jeeps durch tiefen Matsch wühlten.
»Zu Fuß möchte ich die Strecke nicht zurückgehen!« meinte Suko und verzog seine Lippen.
»Mal schauen.«
»Ich kann die beiden ja mal fragen, ob es der richtige Weg ist, den sie eingeschlagen haben.«
»Laß es lieber.«
Es war der richtige Weg, denn der Dschungel trat plötzlich zurück, und wir stoppten.
Der Beifahrer drehte sich grinsend um. »Hier steigen wir aus, Senhores.«
»Schön«, sagte Suko. »Und dann?«
»Madame wartet.«
»Hier?«
»Weiter vor.«
Wir kannten uns nicht aus, wir mußten tun, was man uns vorschlug. Unsere Füße versanken im weichen Gras, aber auch ein betäubender Duft umwehte unsere Nasen.
Die Blüten gaben ihn ab, über die zahlreiche Insekten schwirrten. Der tropische Wald war nie ruhig. Jetzt, wo der laute Motor keine Geräusche mehr überdeckte, konnten wir sie hören. Die im Wald versteckten Tiere, die pfiffen, sangen oder kreischten.
Die beiden Männer kümmerte das nicht. Sie deuteten nach vorn und nicht in den Dschungel, was mir schon sympathisch war.
»Wie kann man hier leben?« fragte Suko.
»Brauchst du ja nicht.«
Wir gingen hinter den beiden Brasilianern her. Die Männer bewegten sich wie Tänzer, sie hatten Rhythmus im Blut wie so viele Brasilianer, und ich konnte mir vorstellen, daß es beim Karneval in Rio mehr als hoch hergehen würde.
Für uns war an Karneval nicht zu denken. Wir kämpften uns durch den Wirrwarr der tanzenden Insekten, atmeten den süßlich-faulen Duft ein und wurden an den von Leichen erinnert.
Als hätte jemand eine große Sense genommen und in die Gewächse hineingeschlagen, so zeigte der dichte Bewuchs plötzlich Lücken, und wir sahen die ersten Menschen.
Ich mußte schlucken, um mein Erschrecken zu verbergen, denn sie sahen mehr aus wie Tote.
Abgemagerte Gestalten, die auf dem Boden hockten, eingehüllt in Lumpen und mit leeren Blicken in die Gegend starrend. Schnell hatte ich die beiden Männer vor uns erreicht. »Wer sind diese Leute?«
»Sie hoffen.«
»Auf wen?«
»Madame wird ihnen helfen. Sie sind krank, sie sind fast tot. Sie wollen schon jetzt dort sein, wo die Toten liegen und sie vielleicht begrüßen. Deshalb warten sie.«
»Dann müßte das hier ein Friedhof sein.«
»Er ist es!« flüsterte der Sprecher, als wäre er mittlerweile vor Ehrfurcht erstarrt.
Ich schaute mich ebenso um wie Suko. Wir beide entdeckten die alten Grabsteine, die aus dem Boden schauten. Manche standen schief, andere waren schon umgekippt.
Eine unheimliche Gegend, für uns Europäer nicht begreifbar, denn es gab auch Menschen, die auf dem Boden knieten, die Hände zusammengelegt hatten, ihre Arme gegen den Himmel richteten und mit monotonen Stimmen alte Gebete sprachen.
Hier mischte sich Glaube mit Aberglaube, was auch wieder typisch für das Land war.
Rauch wehte als flache Wolke über eine bestimmte Stelle hinweg und kitzelte unsere Nasen. Er besaß einen besonderen Geruch, als würde etwas verbrannt, das zuvor mit einem Gewürz oder einer dicken Olschicht bestrichen worden war.
Ein ungewöhnliches Land, mit dem wir als Europäer nicht zurechtkamen. Es war eine Welt für sich. Hier begegneten sich die Lebenden, um die Toten oder deren Gesichter zu treffen.
Jetzt wußte ich, was das Feuer für einen Gestank verbreiteten. Einen süßlichen, fauligen Geruch, und ich mußte mich räuspern, als ich daran dachte, daß möglicherweise Leichen verschmorten. Von Madame Oviano hatten wir bisher nichts zu Gesicht bekommen. Sie hielt sich zurück, vorausgesetzt, wir fanden sie. Neben einer Frau, die in die Flamme einer Kerze starrte, blieben die beiden Männer stehen. »Ist Madame bereit?«
»Ja.«
»Wann?«
»Jetzt!«
Ich konnte wenigstens das verstehen, was sie sagten, und so gingen wir weiter. Als stumme Zeugen grüßten die alten, verwitterten
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