Der Entertainer
sie die Kälte des Bodens nicht, denn keine Gänsehaut legte sich auf die milchkaffeebraune Haut. Ihre Augen waren geschlossen, die Arme lagen neben dem Körper. Tot oder nicht?
»Sie lebt noch«, hörten wir die Stimme der Madame, die sich erst nach diesen Worten bewegte und ihren Kopf anhob, damit sie uns auch anschauen konnte.
Wir sahen ihr ebenfalls ins Gesicht!
Madame Oviano war eine Schwarze, eine Negerin, und sie kam mir alterslos vor. Auf ihrer Gesichtshaut zeigte sich keine Falte, die Wangen sahen pausbäckig aus wie Halbkugeln, und zwischen ihnen drückte sich die fleischige Nase hervor.
Madame Oviano hatte eine hohe Stirn. Möglicherweise auch deshalb, weil das tiefschwarze Haar glatt und ölig schimmernd zurückgekämmt worden war.
Als Kleid konnte man das nicht bezeichnen, was ihren Körper umwallte. Es war eine Mischung aus Umhang und Poncho. Auch im Licht der Kerzen erkannten wir die dunkelrote Farbe, auf der die langen, goldenen Stickfäden ebenfalls auffielen.
Sie sprach nichts, sie bewegte nur ihre rechte Hand und griff nach einem Gegenstand, der neben ihr gelegen hatte. Es war ein langer, dünner, bleicher Knochen, an dessen vorderem Ende bunte Federn befestigt waren, die leicht auseinanderfächerten. Als sie den Arm senkte, da senkten sich auch die Federn, und im nächsten Moment strichen sie wie ein zarter Hauch über den nackten Körper der jungen Frau hinweg. Sie sprach uns an, und wir wunderten uns über ihre tiefe Stimme, die beinahe schon einen männlichen Klang besaß.
»Ich habe euch erwartet. Maria Falanga trat mit mir in Kontakt, und sie sprach sehr gut über euch.«
»Danke.« Ich dachte darüber nach, wie es Maria wohl gelungen war, sie zu erreichen. Ein Telefon gab es hier bestimmt nicht. Na ja, es war nicht mein Bier.
Die Voodoo-Königin zog den Knochenfächer langsam zurück. Die Federn strichen noch ein letztes Mal über das Gesicht, als wollten sie die junge Frau beruhigen.
Und Madame beruhigte uns. »Sie ist nicht tot, Senhores, denn sie ist eine sehr wichtige Persönlichkeit. Sie dient mir als Medium. Sie ist der Mittler zwischen den Welten. Sie heißt Corinna, aber wir nennen sie nur Coco.«
»Dann sorgt sie dafür, daß Sie einen bestimmten Kontakt anzapfen können?«
»Ja.«
»Sie wissen, wen wir suchen?« fragte Suko.
Madame Oviano hob ihren Kopf ein wenig an, so daß wir die übergroßen, dunklen und jetzt im Schein der Kerzen geheimnisvoll leuchtenden Augen erkennen konnten. »Maria hat darüber gesprochen, und ich muß euren Mut bewundern, denn der Entertainer ist die gefährlichste Bestie, die Rio je heimgesucht hat. Es gibt noch andere Bestien, das sind bestimmte Menschen, doch er ist noch grausamer und sollte so schnell wie möglich vernichtet werden.«
»Werverbirgt sich hinter ihm?«
»Keiner weiß es.«
»Ist es ein Werwolf?« Suko ließ nicht locker.
»Es kann einer sein. Die Zeugen sind sich aber nie einig geworden. Vielleicht ist der Entertainer eine Mischung aus einem Werwolf und einem Kampfhund.«
»Kann auch sein.«
»Jedenfalls muß er gefunden werden, und ich habe das Gefühl, daß ihr beide es schaffen könnt.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich spüre es!« flüsterte Madame. »Ich spüre es genau. Ihr strahlt etwas ab, das es nur selten gibt, das müßt ihr mir einfach glauben. Manchmal sehe ich Dinge, die hinter den sichtbaren liegen, die sich gut verstecken und sich nur den Personen zeigen, die auch daran glauben, daß es anderen Welten gibt.«
»Dimensionen, sagen wir.«
Madame nickte. »Sehr richtig. Man hat verschiedene Namen. So wie es auch unterschiedliche Begriffe für den Teufel oder die Hölle gibt. Wir werden jetzt versuchen, einen Weg zu finden, und zwar durch Coco, das Medium. Eine andere Chance sehe ich nicht.«
»Einverstanden, Madame. Aber wird der Versuch auch gelingen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hast du ihn schon durchgeführt?«
Sie schaute mich etwas spöttisch an. »Ja und nein. Ich habe noch nicht versucht, auf diesem Wege, der Bestie auf die Spur zu kommen. Ich wollte nur einen Blick in das Reich der Toten werfen, um meine Kenntnisse über den geheimnisvollen Zauber des Voodoo zu vertiefen. Das ist mir auch teilweise gelungen, doch die gesamte andere Welt habe ich nicht begreifen können.« Sie spreizte Daumen und Zeigefinger, so daß eine Lücke zwischen beiden entstand. »Nur diesen winzigen Teil, mehr nicht.«
War diese Person glaubwürdig? Oder gehörte sie zu den Scharlatanen, von denen es in diesem
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