Der Entertainer
Gewerbe leider zu viele gab?
Wir wußten es nicht und konnten uns nur auf unsere Eindrücke verlassen, die im Prinzip positiv waren, denn die Umgebung dieses Grabmals hatte uns nicht den Eindruck einer Scharlatanerie gemacht. Da waren mir die Menschen sehr echt und auch ehrlich vorgekommen.
»Ich möchte euch bitten, Platz zu nehmen und meine Seance nicht zu stören. Es ist ein Versuch, er wird schwer genug sein, denn so etwas habe ich noch nicht durchgeführt. Es dauert lange, bis ich mein Medium darauf vorbereiten konnte, und ich werde die anderen enttäuschen müssen, die draußen auf mich warten, vor den Gräbern ihrer Verwandten sitzen und darauf hoffen, eine Nachricht aus dem Reich der Toten zu empfangen. Ich muß mich später bei ihnen entschuldigen.«
»Okay, fang bitte an.«
Vielleicht waren es die falschen Worte, denn ihre Stirn umwölkte sich. Aber ich dachte an den verfluchten Entertainer und daran, daß jede Minute, die er länger existierte, zuviel war. Wir mußten ihn packen und vernichten.
Madame Oviano legte ihren Kopf zurück und bewegte auch den Oberkörper nach hinten. Sie schaute gegen die Decke. Über das Gesicht floß der Widerschein des Kerzenlichts wie eine geheimnisvolle Botschaft aus dem Reich der Schatten.
Madame verfiel in eine tiefe Konzentration, in eine Trance, und dies geschah übergangslos.
Dabei beugte sie auch ihren Kopf wieder vor. Ob sie die Augen geöffnet hatte oder nicht, konnten wir nicht sehen. Vielleicht schaute sie in das Gesicht ihres Mediums.
Coco lag da wie eine Statue. Nichts regte sich an ihr, sie zitterte nicht einmal, auch dann nicht, als Madame damit begann, beschwörende Worte zu sprechen und mit der Feder leicht über den nackten Körper hinwegstrich. Bei mir hätte die Berührung ein Kitzelgefühl hervorgerufen, nicht so bei Coco.
Die Voodoo-Königin redete mit ihrer heiseren Flüsterstimme. Zunächst sehr leise und an einer uns fremden Sprache. Portugiesisch war es nicht, vielleicht ein Dialekt.
Die Atmosphäre hier ging auch an uns nicht spurlos vorüber. Wir kamen uns vor wie Gefangene in unserer eigenen Psyche. Es war alles anders geworden, die eigentliche Welt rückte weiter von uns ab. Ich trug mein geweihtes Silberkreuz bei mir und rechnete damit, daß es sich ›melden‹ würde, aber die Reaktion blieb aus.
Dafür redete Madame.
Ihre Tonlage hatte sich verändert. Die Ruhe darin war verschwunden, sie wollte jetzt etwas hören, und sie stellte die entsprechenden, leicht hektisch klingenden Fragen.
Noch rührte Coco sich nicht.
Madame gab nicht auf. Sie sprach weiter, sie zischte die Worte, sie drohte, sie beruhigte sich, sie weinte fast und lachte hin und wieder auf. Manchmal konnten wir etwas verstehen und hörten Begriffe wie Tod, Jenseits und die Strömungen des Geistes, die beides durchdringen sollten. Ich zumindest hatte den Eindruck, als wollte Madame die Seele des jungen Mädchen unter ihre Kontrolle bringen. Coco zeigte eine Reaktion. Das klappte so schnell, daß selbst wir davon überrascht wurden.
Plötzlich öffnete sie die Augen.
Auch Madame hatte es gesehen und atmete tief durch. Sie strich noch einmal mit dem Knochenfetisch über den nackten Körper hinweg, und jetzt sahen auch wir eine Reaktion.
Die Haut bekam einen Schauer…
Er begann in Höhe des Bauches, zog sich über den Busen hinweg und erreichte das Gesicht.
»Hörst du mich, Coco?«
Zu unserer Beruhigung sprach Madame Englisch, und ein kleines Wunder geschah, als das Medium ebenfalls in dieser Sprache ihre Antwort gab und auch später dabei blieb.
»Ja, ich höre dich…«
»Das ist wunderbar, mein Kind, denn nur so habe ich es gewollt. Du läßt mich nicht im Stich, du kannst mich nicht im Stich lassen, und ich will von dir wissen, wo du dich befindest und was du alles auf deiner Reise siehst.«
Wir hörten sie schluchzend atmen. »Viel«, flüsterte sie. »Ich… ich sehe sehr viel…«
»Was?«
»Die Welt ist anders. Ich ströme dahin. Ich sehe mich nicht mehr, aber ich kann in einer fremden Sprache reden, und bin da. Ja, mein Geist ist da, er ist es, der…«
»Siehst du die Welt der Toten?«
»Nein, nein«, sie sprach die Worte gequält aus, jetzt zuckten auch die Hände. »Ich komme nicht an sie heran, sie ist zwar nah, aber trotzdem so fern…«
»Und wie nahe bist du dem Bösen?«
Coco atmete röchelnd. Ihre Wangen zuckten, die Mundwinkel ebenfalls. Zudem hatten wir den Eindruck, als würden sich ihre Augen mit Tränen füllen. »Es ist sehr,
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