Der Entertainer
nicht.«
»Was hast du?«
Das Medium hob die Schultern. »Ich weiß nicht so recht!« flüsterte sie.
»Aber ich habe den Eindruck, daß sich etwas Fremdes hier in der Nähe aufhält.«
»Was Böses?« Madame dachte sofort an den Entertainer.
»Nicht unbedingt.« Coco schüttelte den Kopf. »Nein, das meine ich nicht. Es ist jemand anderer.«
»Laß uns hineingehen.«
Im Gegensatz zu ihrem Grabmal hielt sie die Hütte nicht verschlossen. Unten in der Stadt wäre ihr das nicht passiert, aber wer hier stehlen wollte, der mußte einen langen Weg hinter sich bringen. Zudem war Madame Oviano geachtet und sogar etwas gefürchtet. Deshalb würde sich kaum jemand trauen, ihr aus der Hütte etwas wegzunehmen. Wenig später erkannten beide, daß Coco recht gehabt hatte. In der Hütte wartete jemand.
Er hockte im Schneidersitz auf dem Boden. Sein Haar hing ihm wirr in die Stirn. Die Augen bewegten sich unruhig, die Handflächen rutschten über die Oberschenkel, und um seine Lippen zuckte ein unnatürliches Lächeln.
Der junge Mann trug eine helle Hose und ein dunkles Hemd. Er wirkte in dem mit zahlreichen Fetischen, Masken, Töpfen, Tiegeln, Teppichen und Trockenblumen überladenen Raum wie ein Fremdkörper. Coco hatte den jungen Mann schon gesehen, wußte aber im Moment nicht, wie sie ihn einschätzen sollte.
Anders die Voodoo-Königin. Sie kannte ihn namentlich und begrüßte ihn auch entsprechend. »Du bist hier, Vasco?«
Er nickte.
»Wer ist das?« hauchte Coco.
»Vasco Falanga, Marias Bruder.«
»Aha…«
»Er ist etwas verwirrt. Es gibt Menschen, die ihn als geistesgestört bezeichnen. Von seiner Familie wird er nicht akzeptiert. Ich aber sehe das anders.«
»Magst du ihn?«
»Ich mag alle Menschen, die zu den Schwachen zählen und von den anderen getreten werden.«
Coco hob die Schultern. »Dann war er es, den ich gespürt habe. Ja, so muß es gewesen sein.«
»Ich werde ihn fragen, weshalb er zu uns gekommen ist. Er muß einen Grund gehabt haben.«
»Sei vorsichtig.«
Die Frau war bereits einen Schritt gegangen. Sie blieb stehen und drehte sich um. »Was ist los?«
»Ich traue ihm nicht.«
»Keine Sorge, er ist wirklich harmlos.«
»Wir werden sehen.«
Vasco Falanga hob den Kopf, als er die Voodoo-Königin auf sich zukommen sah. Madame lächelte, sie wollte Vertrauen geben und Mißtrauen nehmen. Mit dem Fuß schob sie ein Sitzkissen heran und stellte eine dicke Kerze zwischen sie. Als der Docht Feuer gefangen hatte, zuckte der junge Mann zurück.
»Du brauchst keine Sorge zu haben!« flüsterte Madame über die Flamme hinweg. »Es ist ein gutes Feuer.«
Vasco nickte einige Male. Wieder strich er über den Hosenstoff. Er transpirierte stark. »Nun?«
»Bitte, Madame, ich…«
»Du bist zu mir gekommen. Du bist von zu Hause weggelaufen. Du wirst einen Grund gehabt haben, mich zu besuchen. Ich möchte dir sagen, daß du mir willkommen bist.«
»Ja, ja!« stieß er hervor. »Ich lief auch von meinem Haus weg. Das mußte ich tun.«
»Richtig.«
»Denn ich konnte es nicht mehr aushalten. Da… da war was. Sie haben gefeiert, aber sie wissen nichts.«
»Weißt du denn mehr?«
Sein Blick erstarrte. Er schaute gegen die Wand, atmete durch den offenen Mund und nickte wieder.
»Was weißt du denn?«
»Viel, sehr viel und gar nichts.«
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. Vasco zuckte unter der Berührung zusammen. »Ich bitte dich, Junge, so kannst du nicht sprechen. Du mußt doch etwas wissen. Sonst wärst du nicht zu uns gekommen, stimmt es?«
»Ich habe es gespürt.«
»Was?«
»Da ist etwas.«
»Und wo?«
Vasco stieß die Worte schnell hervor. »Bei uns. Ja, bei uns zu Hause ist etwas.«
»Wer sollte denn dort sein? Kannst du darüber etwas genauer sprechen?«
»Das ist schwer. Es will mir keiner glauben. Sie feiern, meine Eltern lachen mich aus. Manchmal sperren sie mich auch ein. Ich sprach mit meinem Vater darüber.«
»Was sagte er?«
»Ich sollte meine Medizin nehmen, dann würde ich alles vergessen.«
Vasco senkte den Kopf und schüttelte ihn. »Ich will die Medizin nicht nehmen, ich will es nicht.«
Das konnte Madame Oviano sehr gut verstehen. Da hatten es sich die Menschen wieder einmal leicht gemacht.
Man kümmerte sich nicht persönlich um den Kranken, sondern stellte ihn mit Tabletten ruhig. Sie haßte so etwas, aber es war kein Einzelfall.
»Das brauchst du auch nicht, Vasco. Du bist jetzt bei uns, kannst dich ausruhen und…«
»Nein!« schrie er und
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