Der Entertainer
gehört.«
»Sieht nicht gut aus.«
»Weiß ich. Sie werden trotzdem rüberfliegen. Ihre Zimmer sind bereits gebucht. Das Hotel liegt am Strand. Sie können sogar von ihren Zimmern den Tatort sehen, habe ich mir sagen lassen.«
»Da wird es bestimmt schönere Ausblicke geben.«
»Das ja.«
»Wann starten wir?« fragte Suko.
»Heute abend.«
»Da haben wir ja noch einen Tag Urlaub.«
Sir Jame war skeptisch. »Ich würde Ihnen raten, vorzuschlafen. In Rio stehen Ihnen bestimmt heiße Nächte bevor.« Wenn Sir James bisher nie recht gehabt hatte, in diesem Fall glaubte ich ihm jedes Wort… Auch in der schmutzigen kleinen Hütte war der Klebstoff zu riechen, obwohl die Kinder ihre Tüten versteckt hatten, aber jeder von ihnen hatte in den letzten Stunden geschnüffelt.
Maria Falanga seufzte, als sie daran dachte. Wie die Kinder hockte auch sie auf dem schmutzigen Boden und schaute manchmal den Käfern oder Spinnen nach, die über den Boden krochen, um später in irgendwelchen Ritzen zu verschwinden.
Maria war jung, gerade dreiundzwanzig, und sie besaß noch Idealismus, auch wenn ihr Job ein Kampf gegen eine Hydra mit zahlreichen Armen war, die sie nie alle abschlagen konnte. Traf sie einen, wuchsen gleich drei neue nach.
Die Hydra hieß Armut, Gewalt, Verbrechen!
Damit war dieser Teil von Rio beschrieben, in dem Maria als Lehrerin und Fürsorgerin arbeitete. Sie ging als eine der wenigen Frauen in die Favelas, obwohl sie aus einem ziemlich reichen Haus stammte; ihre Eltern hatten sie studieren lassen. Daß sie danach den Weg ins Elend hinabgeschritten war, hatte keiner aus der Familie verstanden. Manchmal wurde sie sogar von den Mitgliedern wie eine Aussätzige behandelt.
Wer sie beschreiben sollte, dem wäre sehr bald der Begriff glutäugige Schönheit eingefallen, obwohl sie kaum anders aussah als Tausende von Frauen in ihrem Alter. Die Brasilianerinnen waren eben etwas Besonderes, mit ihren äußeren Vorzügen hatte es der liebe Gott besonders gut gemeint. Große, dunkle Augen, ein fein geschnittenes Gesicht, ein naturbrauner Teint und ein wirrer Haarschopf, den sie nur mit Bändern oder Schleifen bändigen konnte.
Wie immer trug sie Jeans und ein weit geschnittenes Leinenhemd aus bunten Farben. Es fiel bis zu den Hüften. Ihre Füße steckten in Turnschuhen. Da sie im Schneidersitz vor den Kindern hockte, konnte sie auf ihre schmutzigen Sohlen schauen.
Die Kinder schwiegen. Es waren mehr Mädchen als Jungen, doch das spielte keine Rolle. Auch sie kannten den Tod, das Grauen, was sich auf ihren Gesichtern abzeichnete, denn sie alle wirkten sehr alt, als hätten sie sämtliche Schrecken der Welt gesehen.
Jetzt allerdings lag in einigen Augen noch ein Glanz, der Maria Falanga überhaupt nicht gefiel. Die Nachwirkungen des Schnüffeins blieben noch Stunden bestehen, und sie fragte sich, ob sie überhaupt einen Unterricht abhalten konnte.
Papier und Bleistifte mußte sie verteilen, die Kinder besaßen nur das, was sie auf der Haut trugen, und das war herzlich wenig. Die Luft im Raum stand. Durch die offene Tür zogen Schwaden hinein, die säuerlich rochen, als wären Schweiß und Urin zusammengekippt worden. Seit dem Anfang brannte die Sonne schon wieder gnadenlos auf die Elendsviertel nieder, und manch totes Fleisch begann zu faulen, wobei es von einem Meer von Fliegen überdeckt war. Die Kinder redeten kein Wort. Wahrscheinlich hatten die meisten ein schlechtes Gewissen.
Sie wußten, daß ihre Lehrerin das Schnüffeln haßte, doch Maria sah auch ein, daß sie dagegen nicht ankämpfen konnte. Sie seufzte, als ihre Blicke über die Gesichter der Kinder glitten. »Wer von euch ist denn überhaupt in der Lage, mir etwas sagen zu können?« fragte sie.
Ein Mädchen meldete sich. »Was denn?«
»Zum Beispiel über das Thema der letzten Stunde.«
Sie schauten Maria an und brauchten nicht erst die Köpfe zu schütteln, um ihr zu zeigen, daß sie nichts wußten, gar nichts. Ein Junge aber meldete sich.
»Was ist, Manheno?«
»Ich weiß etwas.«
»Bitte.«
»Es hat wieder einen Toten gegeben. Der Entertainer hat zugeschlagen. Diesmal bei den Reichen. Der Entertainer hat die Leiche auf eine Mauer gelegt, direkt in die Glasscherben hinein.«
»Na und? Findest du das gut?«
Der Junge lachte. »Viele bewundern ihn, manche haben auch Angst. Ich aber nicht. Er hat noch keine Kinder getötet. Die Polizei kann ihn nicht fassen. Auch nicht die Todesschwadrone. Man erzählt sich, daß der Entertainer sogar ihnen
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