Der entgrenzte Mensch
kritisch wahrgenommen und gefragt, ob es eigentlich moralisch erträglich ist, dass beispielsweise Kleidung hier zu Billligstpreisen gekauft werden kann, weil die Menschen, die sie in Asien zusammennähen, von dem Lohn für ihre Arbeit kaum leben können.
Die im Preisfetischismus realisierte Entgrenzung ökonomischer Vorgänge von menschlichen Dimensionen des Wirtschaftens setzt auf Quantifizierung und Berechenbarkeit. Er ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass sämtliche Lebensbereiche einem Wirtschaftlichkeitsdenken unterworfen und einem
Ökonomisierungsdruck ausgesetzt werden. Eben weil alles seinen berechenbaren Preis hat und sich in Zahlen ausdrücken lässt, hängt alles von diesen ab. »Wir kennen Gebrauchsgüter oder Besitztümer auf Grund ihrer Preise (…), und Tausende anderer Phänomene wie die Sterblichkeit, die Geburten und Heiraten sind uns auf Grund der Raten bekannt. Der Fetisch hat sich vom Markt auf sämtliche Alltagsbeschäftigungen außerhalb des Marktes ausgebreitet.« (A.a.O., S. 64.) Kein Wunder also, dass an die Stelle des Aushandelns von Preisen der Preisvergleich im (anonymen) Internet getreten ist und dass uns vor allem das interessiert, was sich in Zahlen ausdrücken und »auf Heller und Pfennig« berechnen lässt.
Diese wenigen Andeutungen über die mit der Etablierung der Marktgesellschaft einhergehende generelle Entgrenzung des Wirtschaftens von einschränkenden menschlichen Beziehungsgrößen sollen nachfolgend an ausgewählten aktuellen Entwicklungen konkretisiert werden.
GLOBALISIERUNG DER WIRTSCHAFT
Mit dem inzwischen stark strapazierten Begriff der Globalisierung wird gleich eine ganze Reihe von ökonomischen (und anderen) Entgrenzungsvorgängen erfasst. An erster Stelle ist die Entgrenzung der Märkte und der Produktion zu nennen.
Mit Entgrenzung der Produktion ist nicht nur deren Verlagerung in Billiglohnländer gemeint, sondern auch das Outsourcen von Produktionsteilen oder die globale Entgrenzung der Herstellung, der Entwicklung, Finanzierung, des Marketings und des Vertriebs eines Produkts. Beispielhaft hat dies nach Jeremy Rifkin
(2000, S. 66f.) das Unternehmen »Nike« vorgemacht, das ohne eigenes Kapitel und ohne eigene Produktionsstätten höchst profitabel weltweit Schuhe und Kleidung produziert und verkauft.
Globalisierte Produktion und ebensolche Märkte sind nur möglich, wenn es zu einem Abbau von Handelsbeschränkungen und nationalen Subventionen kommt und gleichzeitig die Mobilität der am Produktionsprozess beteiligten Menschen und Waren gefördert wird. Wie stark eine solche Förderung der Mobilität tatsächlich ist, zeigt sich darin, dass die Kosten für Infrastruktur, Ressourcenverbrauch, Umwelt- und andere Folgebelastungen (wie Klima, Gesundheit, Entsorgung) bei den Transportkosten - und deshalb bei den Kostenberechnungen für die Produktion - weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Die mit der wirtschaftlichen Globalisierung einhergehende wichtigste Veränderung sieht Manuel Castells (1996) im Ende der nationalstaatlichen Produktion. So wie die festen Grenzen der Nationalstaaten erodieren, so lösen sich auch die festen Grenzen von Unternehmen auf und es kommt zur Bildung von sich ständig ändernden transnationalen Netzwerken. Michael Hardt und Antonio Negri (2002, S. 10f.) sprechen deshalb von einer neuen, von kapitalistischen Interessen entgrenzten Weltmacht (»Empire«), der sie ein System des gemeinsamen Wohlstands, einen globalen »Commonwealth«, entgegen setzen (vgl. Hardt und Negri 2010). Bei der Entgrenzung der Märkte geht es nämlich nicht um die Fortsetzung einer kolonialistischen oder imperialistischen Wirtschaftspolitik, sondern um eine »neue globale Form der Souveränität«. Diese lässt sich weder territorial noch nationalstaatlich fassen. »Das Empire arrangiert und organisiert hybride Identitäten, flexible Hierarchien und eine Vielzahl von Austauschverhältnissen durch abgestimmte Netzwerke des Kommandos.« (Hardt und Negri 2002, S. 11.)
Ein kaum zu bändigender Entgrenzungsschub wurde durch die Liberalisierung der Finanzmärkte und die dadurch ermöglichte Globalisierung des Finanzsektors in Gang gebracht. Bis 1963 waren die Wechselkurse fixiert und wurden sowohl die Zinsen als
auch die Wechselkurse (durch staatliche Auf- und Abwertungen) öffentlich reguliert. Ein US-Dollar etwa kostete zwischen 1950 und 1961 gleichbleibend 4,20 Deutsche Mark; 1961 wurde die DM aufgewertet, so dass nur noch 4,05 DM für einen US-Dollar
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