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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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Demnach hätten sich die ersten Vielzeller schrittweise auseinanderentwickelt.
     
    Bis hierher ist das eine treffende Zusammenfassung der neodarwinistischen Lehrmeinung. Aber dann fährt Kauffman in einem merkwürdigen Absatz fort:
     
    Doch dies war offenbar nicht der Fall. Eines der erstaunlichen und rätselhaften Merkmale der kambrischen Explosion besteht darin, daß das taxonomische System gleichsam von oben nach unten aufgefüllt wurde. Die Natur brachte in einem plötzlichen kreativen Schub eine Fülle höchst unterschiedlicher Baupläne – die Phyla – hervor und feilte diese Grundmodelle dann weiter zu Klassen, Ordnungen, Familien und Gattungen aus … In seinem Buch über die kambrische Explosion, Wonderful Life: The Burgess Shale and the Nature of History , meint Stephen Jay Gould, die «Auffüllung von oben nach unten», die damals stattgefunden habe, grenze an ein Wunder.
     
    Da hat er auch Recht! Man braucht nur einmal kurz zu überlegen, was die «Auffüllung von oben nach unten» für die Tiere auf der untersten Stufe bedeutet, dann erkennt man sofort, wie lächerlich die Vorstellung ist. «Baupläne», beispielsweise für den Körperbau der Weichtiere oder Stachelhäuter, sind keine idealen Wesensformen, die in der Luft hängen und wie Designeranzüge darauf warten, dass echte Tiere sie anziehen. Es gab immer nur echte Tiere: lebende, atmende, gehende, fressende, ausscheidende, kämpfende, kopulierende echte Tiere, die überleben mussten und sich nicht tief greifend von ihren echten Eltern und Großeltern unterscheiden konnten. Damit ein neuer Körperbauplan – ein neuer Tierstamm – auf der Bildfläche erscheint, müsste auf der untersten Ebene zunächst einmal ein Junges geboren werden, das sich plötzlich aus heiterem Himmel so stark von seinen Eltern unterscheidet wie eine Schnecke von einem Regenwurm. Kein Zoologe, der sich Gedanken über die Folgerungen macht, und nicht einmal der hartnäckigste Anhänger der Sprungmutationen hat jemals eine solche Vorstellung vertreten. Anhänger der Sprungmutationen haben sich immer damit zufrieden gegeben, das plötzliche Auftauchen neuer Arten zu postulieren, und selbst diese relativ bescheidene Idee war höchst umstritten. Nimmt man Goulds Rhetorik unter praktischen Gesichtspunkten beim Wort, erweist sie sich als schlechte poetische Naturwissenschaft in Reinkultur.
    Kauffman wird in einem späteren Kapitel noch deutlicher. Im Zusammenhang mit seinen genialen mathematischen Modellen, in denen er die Evolution als «zerklüftete Fitnesslandschaft» darstellt, bemerkt er eine
     
    verblüffende Übereinstimmung mit der kambrischen Explosion (…). Bereits zu einem frühen Zeitpunkt des Verzweigungsprozesses stoßen wir auf eine Vielzahl von «Weitsprung-Mutationen», die sich drastisch von der Stammform und voneinander unterscheiden. Diese Spezies weisen so grundlegende morphologische Unterschiede auf, daß man sie als Begründer eigener Stämme klassifizieren kann. Diese Gründer verzweigen sich nun ebenfalls, aber mit Hilfe von Varianten, die etwas kürzere «Weitsprünge» machen; auf diese Weise entstehen Verzweigungen, die von jedem Gründer eines Stammes zu einander unähnlichen Tochterarten führen, die ihrerseits neue Klassen begründen. Im weiteren Verlauf werden besser angepaßte Varianten in immer näheren Gegenden angetroffen, so daß nacheinander die Gründer von Ordnungen, Familien und Gattungen auftreten.
     
    In seinem älteren, fachlicher gehaltenen Buch The Origins of Order (1993) äußert Kauffman etwas Ähnliches über das Leben im Kambrium:
     
    Damals entstanden nicht nur sehr rasch zahlreiche neuartige Körperformen, sondern die kambrische Explosion lässt auch eine weitere Neuerung erkennen: Arten, die neue systematische Einheiten begründeten, bauten die höheren Einheiten anscheinend von oben nach unten auf. Das heißt, zuerst waren Vertreter der großen Stämme vorhanden, und dann füllten sich nacheinander die Klassen, die Ordnungen und die unteren systematischen Ebenen …
     
    Nach einer Lesart ist das harmlos bis an die Grenze der Banalität. Nach unserem Modell der «rückwärts zusammenlaufenden Linien» müssen Aufspaltungen zwischen Arten, aus denen später getrennte Stämme hervorgehen , natürlich früher erfolgen als solche, die später zu Trennlinien zwischen Ordnungen und kleineren systematischen Einheiten werden. Aber Kauffman ist offensichtlich nicht der Ansicht, dass er etwas ganz Normales, Offensichtliches

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