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Der entzauberte Regenbogen

Der entzauberte Regenbogen

Titel: Der entzauberte Regenbogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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stünden mit beiden Beinen fest in der Realität – genauso sollte es sein, wenn die Software für unsere eingeschränkte virtuelle Realität etwas taugt. Ist sie sehr gut, bemerken wir sie nur bei den seltenen Gelegenheiten, wenn etwas schief geht. Dann erleben wir eine Illusion oder Halluzination wie die Täuschung mit der hohlen Maske, von der zuvor die Rede war.
    Der britische Psychologe Richard Gregory widmete der Frage, wie man die Funktionsweise des Gehirns mit Hilfe optischer Täuschungen untersuchen kann, besondere Aufmerksamkeit. In seinem Buch Eye and Brain (5. Auflage 1998) betrachtet er das Sehen als aktiven Vorgang, in dessen Verlauf das Gehirn Hypothesen über die Vorgänge in der Umwelt aufstellt und sie dann anhand der von den Sinnesorganen eintreffenden Informationen überprüft. Zu den bekanntesten optischen Täuschungen gehört der Necker-Würfel, eine einfache Strichzeichnung eines Würfels, der aus Stahlstäben zusammengesetzt sein könnte. Die Zeichnung ist ein zweidimensionales Farbmuster auf dem Papier, aber ein normaler Mensch sieht darin einen Würfel. Das Gehirn konstruiert anhand der zweidimensionalen Darstellung ein dreidimensionales Modell. Das Gleiche tut das Gehirn fast jedes Mal, wenn man ein Bild betrachtet. Im Fall des Necker-Würfels ist das flache Muster mit zwei verschiedenen, dreidimensionalen Modellen gleichermaßen vereinbar. Fixiert man die Zeichnung ein paar Sekunden lang, scheint sie «umzuspringen». Die Seite des Würfels, die anfangs zum Betrachter zu weisen schien, befindet sich jetzt auf der Rückseite. Blickt man weiter darauf, entsteht durch erneutes Umschalten wieder der ursprüngliche Würfel. Das Gehirn könnte auch so konstruiert sein, dass es willkürlich bei einem der beiden Modelle bleibt, beispielsweise bei dem, das es zuerst aufbaut, auch wenn das andere Modell mit der Information von den Netzhäuten gleichermaßen zu vereinbaren ist. In Wirklichkeit aber wählt es die andere Möglichkeit: Es benutzt abwechselnd jeweils ein paar Sekunden lang beide Modelle, das heißt beide Hypothesen, und das verrät es, weil der Würfel seine Form zu wechseln scheint. Unser Gehirn konstruiert ein dreidimensionales Modell. Wir haben die virtuelle Realität im Kopf.
    Wenn wir eine echte Holzkiste betrachten, erhält unsere Simulationssoftware weitere Informationen, mit deren Hilfe sie eines der beiden inneren Modelle eindeutig bevorzugen kann. Deshalb sehen wir die Kiste nur auf eine Weise, ohne dass ein Wechsel stattfindet. Aber das spricht nicht gegen die allgemeine Lehre, die wir aus dem Necker-Würfel ziehen können. Wenn wir etwas ansehen, bedient sich unser Gehirn in einem gewissen Sinn immer eines Modells, das es sich von diesem Gegenstand gemacht hat. Das Modell im Gehirn ist wie das zuvor erwähnte virtuelle Parthenon etwas Konstruiertes. Aber im Gegensatz zum Parthenon (und vielleicht auch zu den Bildern, die wir im Traum sehen) ist es wie das medizinische Computermodell vom Innenleben des Patienten kein reines Phantasieprodukt, sondern es wird durch Informationen aus der Außenwelt eingeschränkt.
    Eine stärkere Illusion der festen Beschaffenheit vermittelt die Stereoskopie, bei der linkes und rechtes Auge zwei geringfügig unterschiedliche Bilder sehen. Nach dem gleichen Prinzip arbeiten auch die beiden Bildschirme im Helm der Ärztin. Man braucht nur einmal die rechte Hand mit zum Körper gewandtem Daumen ungefähr 30 Zentimeter vor das Gesicht zu halten und dann mit beiden Augen einen entfernten Gegenstand anzusehen, beispielsweise einen Baum. Dabei sieht man zwei Hände, die den von den beiden Augen wahrgenommenen Bildern entsprechen. Welches Bild zu welcher Hand gehört, kann man schnell feststellen, indem man zuerst das eine und dann das andere Auge schließt. Die beiden Hände scheinen sich an geringfügig unterschiedlichen Stellen zu befinden, weil die Augen aus unterschiedlichen Winkeln blicken, sodass auch die Bilder auf den beiden Netzhäuten einen entsprechenden, aufschlussreichen Unterschied aufweisen. Die Augen nehmen auch einen geringfügig unterschiedlichen Aspekt der Hand auf. Das linke sieht ein wenig mehr von der Handfläche, das rechte ein wenig mehr vom Handrücken.
    Als Nächstes blickt man nicht mehr den weit entfernten Baum an, sondern – wiederum mit beiden Augen – die Hand. Statt zwei Händen im Vorder- und einem Baum im Hintergrund sieht man jetzt eine undurchsichtige Hand und zwei Bäume. Das Bild der Hand fällt aber nach wie

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