Der entzauberte Regenbogen
Beispiel benutzt, um die Vorstellung von der Koevolution der Soft- und Hardware plausibel zu machen. Der entscheidende Faktor, der das menschliche Gehirn über die kritische Schwelle hob und sein Wachstum möglich machte, muss nicht die Sprache gewesen sein, aber eine innere Stimme sagt mir, dass sie wahrscheinlich eine wichtige Rolle gespielt hat. Ob die lautbildende Hardware im Rachen bereits Sprache erzeugen konnte, als das Gehirn anzuschwellen begann, ist umstritten. Manche Fossilfunde legen die Vermutung nahe, dass unsere mutmaßlichen Vorfahren Homo habilis und Homo erectus mit ihrem noch relativ weit oben liegenden Kehlkopf nicht das ganze Spektrum der Vokale artikulieren konnten, das unser moderner Rachen uns zur Verfügung stellt. Manche Fachleute sehen darin einen Hinweis, dass auch die Sprache selbst erst spät in unserer Evolution auftauchte. Ich halte das für eine recht phantasielose Schlussfolgerung. Wenn eine Koevolution von Soft- und Hardware stattgefunden hat, ist das Gehirn nicht die einzige Komponente, mit deren Verbesserung man beim Drehen der Spirale rechnet. Parallel dazu müsste sich auch der Stimmenapparat entwickelt haben, und die Verlagerung des Kehlkopfes nach unten ist eine der Veränderungen in der Hardware, die im Laufe der Evolution von der Sprache selbst vorangetrieben werden musste. Schlechte Vokale sind nicht das Gleiche wie überhaupt keine Vokale. Selbst wenn die Sprache des Homo erectus nach unseren heutigen, anspruchsvollen Maßstäben eintönig klang, könnte sie die Voraussetzungen für die Evolution von Syntax, Semantik und die selbst laufende Abwärtsverlagerung des Kehlkopfes geschaffen haben. Und nebenbei bemerkt: Der Homo erectus konnte wahrscheinlich sowohl Boote bauen als auch Feuer machen; wir sollten ihn nicht unterschätzen.
Aber lassen wir die Sprache einmal beiseite; welche anderen neuen Entwicklungen in der Software könnten unsere Vorfahren über die entscheidende Schwelle gehoben haben, sodass sich die weitere Koevolution hochschaukelte? Ich möchte zwei Dinge vorschlagen, die sich möglicherweise ganz natürlich aus der wachsenden Vorliebe unserer Vorfahren für Fleisch und Jagd entwickelt haben. Die Landwirtschaft ist eine relativ neue Erfindung. Unsere früheren Vorfahren, die Hominiden, waren Jäger und Sammler. Menschen, die sich heute noch auf diese urtümliche Weise ernähren, sind oft ausgezeichnete Fährtenleser. Sie können aus Fußspuren, beschädigten Pflanzen, Exkrementen und Haarresten ein genaues Bild davon zeichnen, was sich in einem großen Gebiet abgespielt hat. Ein Fußspurenmuster ist eine Zeichnung, eine Landkarte, eine symbolische Wiedergabe einer Reihe von Verhaltensweisen eines Tieres. Denken wir noch einmal an unseren hypothetischen Zoologen, der aus Körperbau und DNA eines Tieres die früheren Umweltverhältnisse zu rekonstruieren vermag, sodass wir ein Tier mit Fug und Recht als Modell seiner Umwelt bezeichnen können. Könnte man etwas Ähnliches nicht auch über einen erfahrenen Fährtenleser der !Kung San sagen, der im Staub der Kalahari nur die Fußspuren sehen muss, um daraus in allen Einzelheiten eine Gesetzmäßigkeit, eine Beschreibung oder ein Modell des Tierverhaltens in der jüngsten Vergangenheit zu rekonstruieren? Richtig gelesen, addieren sich solche Spuren zu Landkarten und Bildern, und mir scheint es eine plausible Vorstellung zu sein, dass die Fähigkeit zum Lesen solcher Landkarten und Bilder bei unseren Vorfahren früher entstanden ist als die Sprache mit ihren Wörtern.
Stellen wir uns einmal eine Gruppe von Jägern der Spezies Homo habilis vor, die einen gemeinsamen Beutezug planen musste. Im Jahr 1992 zeigte David Attenborough in einem bemerkenswerten, spannenden Fernsehfilm, wie heutige Schimpansen einen offenbar sorgfältig geplanten, erfolgreichen Überfall auf einen Stummelaffen inszenieren, den sie anschließend in Stücke reißen und fressen. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, die Schimpansen hätten sich vor der Jagd über die Einzelheiten ihres Plans verständigt, aber man kann ohne Bedenken unterstellen, dass habilis von einer solchen Kommunikation profitiert hätte, wenn er dazu in der Lage gewesen wäre. Wie hätte sich diese Kommunikation entwickeln können?
Angenommen, einer der Jäger, den man sich als Kopf der Gruppe vorstellen kann, will einer Antilope auflauern und möchte diesen Plan seinen Kollegen mitteilen. Zweifellos könnte er das Verhalten des Tieres nachahmen und sich zu diesem Zweck
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