Der entzauberte Regenbogen
der genetischen Unterschiede in der Bevölkerung. Daneben gibt es auch andere Ursachen. Für unsere kriminalistischen Zwecke ist aber nur wichtig, dass im Genom variable Abschnitte vorkommen. Ganz gleich, wie die Kontroverse um die Variabilität der nützlichen Abschnitte im Genom letztlich ausgeht: In jedem Fall gibt es zahlreiche andere Bereiche, die niemals abgelesen oder in entsprechende Proteine umgeschrieben werden. Tatsächlich scheint ein erstaunlich großer Anteil unserer Gene keinerlei Aufgaben zu haben. Solchen Regionen steht es frei, Abweichungen auszubilden, und damit sind sie ein ausgezeichnetes Material für DNA-Fingerabdrücke.
Wie zur Bestätigung der Tatsache, dass ein großer Teil der DNA nichts Nützliches bewirkt, schwankt auch die reine DNA-Menge in den Zellen verschiedener Lebewesen stark. Da die Information in der DNA digital ist, können wir sie in den gleichen Einheiten messen wie die Information in einem Computer. Ein Bit reicht aus, um eine Ja-Nein-Entscheidung festzulegen: 1 oder 0, richtig oder falsch . Der Computer, auf dem ich diesen Text schreibe, hat einen Arbeitsspeicher von 256 Megabit (32 Megabyte). (Mein erster Computer war eine größere Kiste, aber sein Speicher hatte noch nicht einmal ein Fünftausendstel dieser Kapazität.) Die entsprechende Grundeinheit in der DNA ist die Base eines Nucleotids. Da vier Basen möglich sind, beträgt der Informationsgehalt jeder Base zwei Bit. Das weit verbreitete Darmbakterium Escherichia coli besitzt ein Genom aus 4 Megabasen oder 8 Megabit. Der Große Teichmolch Triturus cristatus hat 40 000 Megabit. Zwischen Teichmolch und Bakterium besteht also das gleiche Verhältnis von 5000 zu 1 wie zwischen meinem jetzigen und meinem ersten Computer. Wir Menschen besitzen 3000 Megabasen oder 6000 Megabit. Das ist 750-mal mehr als bei einem Bakterium (was unsere Eitelkeit befriedigt), aber was machen wir mit dem Molch, der uns um das Sechsfache übertrifft? Wir nehmen gern an, dass die Größe eines Genoms seinen Aufgaben nicht genau proportional ist: Vermutlich bewirkt ein großer Teil der Molch-DNA überhaupt nichts. Das stimmt sicher. Dasselbe gilt für den größten Teil unserer DNA. Aufgrund anderer Befunde wissen wir, dass nur etwa 2 Prozent der 3000 Megabasen im menschlichen Genom tatsächlich zur Codierung der Proteinsynthese dienen. Den Rest bezeichnet man oft als DNA-Schrott. Wahrscheinlich ist der Anteil dieser überflüssigen DNA beim Teichmolch einfach noch größer. Bei anderen Molchen ist das nicht der Fall.
Die überschüssige, nicht genutzte DNA lässt sich in verschiedene Kategorien einteilen. Ein Teil davon sieht wie echte genetische Information aus und stellt vermutlich alte, ausgemusterte Gene oder veraltete Kopien noch genutzter Gene dar. Diese «Pseudogene» hätten einen Sinn, wenn sie abgelesen und umgeschrieben würden. Aber sie werden nicht abgelesen und umgeschrieben. Auch die Festplatte eines Computers enthält in der Regel vergleichbaren Abfall – alte Kopien der gerade bearbeiteten Dateien, Speicherplatz, den der Computer für interne Vorgänge nutzt, und so weiter. Als Nutzer sehen wir diesen Schrott nicht, denn der Rechner zeigt uns nur diejenigen Teile der Festplatte, von denen wir etwas wissen müssen. Aber wenn man eine Stufe tiefer steigt und die tatsächlichen Informationen auf der Platte Byte für Byte abliest, stößt man auf den Müll, und ein großer Teil davon hat durchaus einen gewissen Sinn. Auf meiner Festplatte liegen zurzeit vermutlich ein paar Dutzend zusammenhanglose Bruchstücke dieses Kapitels, obwohl es nur eine «offizielle» Kopie (und klugerweise eine Sicherungskopie) gibt, die der Computer mir vermeldet.
Neben dem DNA-Schrott, der abgelesen werden könnte , aber nicht abgelesen wird, gibt es eine Menge weitere unnütze DNA, die nicht nur nicht abgelesen wird, sondern abgelesen auch überhaupt keinen Sinn ergäbe. Lange Abschnitte enthalten Unsinn, ständige Wiederholungen einer einzelnen Base oder zwei Basen, die sich abwechseln, oder Wiederholungen komplizierterer Kombinationen. Solche «Tandemwiederholungen» kann man im Gegensatz zu der anderen Kategorie des DNA-Schrotts nicht als veraltete Kopien nützlicher Gene erklären. Sie wurden niemals umgeschrieben und waren vermutlich nie zu irgendetwas nütze. (Jedenfalls nicht für das Überleben des Tieres. Wie ich in einem anderen Buch dargelegt habe, kann man aus der Sicht des egoistischen Gens sagen, der DNA-Schrott sei für
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