Der entzauberte Regenbogen
viel wahrscheinlicher als die Alternative, dass seine drei an den Haaren herbeigezogenen Geschichten wahr waren.
Als Philosoph hätte er eigentlich die logische Prüfung kennen müssen, die der große schottische Philosoph David Hume im 18. Jahrhundert beschrieb und die mir unangreifbar erscheint:
… dass kein Zeugnis zureicht, ein Wunder festzustellen; es müsste denn das Zeugnis der Art sein, dass seine Falschheit wunderbarer wäre als die Tatsache, welche es bekundet.
«Über die Wunder» (1748)
Ich möchte Humes Vorgehensweise auf eines der am besten belegten Wunder aller Zeiten anwenden, einen Vorfall, für den es angeblich 70 000 Zeugen gibt und der noch in lebhafter Erinnerung ist: die Erscheinung der Mutter Gottes in Fatima. Ich zitiere aus dem Bericht auf einer römisch-katholischen Internetseite; dort wird darauf hingewiesen, diese sei unter den vielen angeblichen Marienerscheinungen etwas Besonderes, weil sie vom Vatikan offiziell anerkannt werde.
Am 13. Oktober 1917 hatten sich mehr als 70 000 Menschen in der Cova de Iria im portugiesischen Fatima versammelt. Sie waren gekommen, um ein Wunder zu sehen, das die Heilige Jungfrau drei Kindern – Lucia dos Santos, ihrer Cousine Jacinta und ihrem Cousin Francisco Marto – in einer Vision vorhergesagt hatte … Kurz nach der Mittagsstunde erschien die Jungfrau den dreien. Bevor sie wieder verschwand, deutete sie auf die Sonne. Aufgeregt wiederholte Lucia die Geste, und die Menschen blickten zum Himmel … dann erhob sich ein Seufzer des Entsetzens aus der Menge, denn es schien, als habe sich die Sonne vom Firmament losgerissen und stürze auf die erschrockene Masse … Gerade als es den Anschein hatte, als werde der Feuerball über sie hereinbrechen und sie vernichten, war das Wunder zu Ende. Die Sonne nahm wieder ihren normalen Platz am Himmel ein und schien so friedlich wie immer.
Hätte nur Lucia, das Mädchen, das den Fatima-Kult auslöste, das «Sonnenwunder» gesehen, hätte man es nicht allzu ernst genommen. Es hätte ohne weiteres eine Halluzination oder eine Lüge aus nahe liegenden Gründen sein können. Beeindruckend sind die 70 000 Zeugen. Können 70 000 Menschen gleichzeitig derselben Halluzination zum Opfer fallen? Können 70 000 Menschen auf ein und dieselbe Lüge verfallen? Und wenn es die 70 000 Zeugen vielleicht gar nicht gab: Könnte der Berichterstatter damit durchkommen, dass er so viele erfunden hat?
Wenden wir nun einmal Humes Kriterium an. Einerseits sollen wir an eine Massenhalluzination, eine optische Täuschung oder die gemeinsame Lüge von 70 000 Menschen glauben. Zugegeben: So etwas ist unwahrscheinlich. Aber es ist weniger unwahrscheinlich als die Alternative: dass sich die Sonne tatsächlich bewegt hat. Die Sonne, die über Fatima hing, war schließlich keine Privatsonne; dasselbe Gestirn erwärmte überall auf der Tagseite der Erde viele Millionen Menschen. Hätte sich die Sonne wirklich von ihrem Platz entfernt, was aber nur die Menschen von Fatima sehen konnten, müsste man ein noch viel größeres Wunder unterstellen: die Illusion ihrer Bewegungslosigkeit für die vielen Millionen Zeugen, die nicht in Fatima waren. Und dabei übergeht man die Tatsache, dass sich das Sonnensystem aufgelöst hätte, wenn die Sonne tatsächlich mit der berichteten Geschwindigkeit gewandert wäre. Wir haben keine andere Wahl, als uns Hume anzuschließen, uns für die am wenigsten wundersame Alternative zu entscheiden und entgegen der offiziellen vatikanischen Lehre zu dem Schluss zu gelangen, dass sich das Wunder von Fatima nie ereignet hat. Außerdem ist keineswegs klar, warum die Beweislast, die Irreführung der 70 000 Zeugen zu erklären, bei uns liegen soll.
Aber auch in Humes Argumentation geht es nur um die Abwägung von Wahrscheinlichkeiten. Begeben wir uns einmal an das äußerste Ende unserer Palette mutmaßlicher Wunder: Gibt es Spekulationen und Behauptungen, die wir ein für alle Mal ausschließen können? Wenn ein Erfinder ein Patent für ein Perpetuum mobile haben möchte, kann man den Antrag nach übereinstimmender Meinung der Physiker ablehnen, ohne die Konstruktion überhaupt zu prüfen, weil ein Perpetuum mobile die Gesetze der Thermodynamik verletzen würde. Sir Arthur Eddington schrieb:
Wenn jemand darauf hinweist, Ihre Lieblingstheorie über das Universum widerspreche den Maxwellschen Gleichungen – Pech für die Maxwellschen Gleichungen! Wenn sich
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